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Kolumne HabseligkeitenVon Hipstern und Nerds

Kolumne
von Natalie Tenberg

Die Mode verläuft zyklisch und trotzdem stecken wir in den Achtzigern fest. Warum wir die Loser von damals lieben.

N eulich war ich unterwegs und machte mich an einem Freitagabend auf den weiten Weg aus meiner Charlottenburger Wohnung nach Friedrichshain. Das ist ein Stadtteil in Berlin, der unter jungen Leuten aus aller Welt sehr beliebt ist, dementsprechend fehl am Platz kam ich mir mit meinen 35 Jahren dort vor. In der Lobby eines Hotels, das nicht für Ruhe und Einkehr bekannt werden wird, fand eine riesige Party statt. Ich schaute nach links, nach rechts, dann an mir herunter und dachte: "Wie einfältig von dir!", denn ich trug ein kleines schwarzes Kleid mit Stiefeln und hatte die Haare hochgesteckt.

Richtig wäre gewesen, ein vage körperbetontes Karohemd zu tragen. Eins, für das man Maschinenbaustudenten in Aachen in den 90ern verlachte, die traurig vor ihrem Weizenbier saßen. Die Art der Hose, die zu dem Hemd getragen würde, wäre relativ egal, Hauptsache, sie wäre eng und ich spindeldürr. Am Handgelenk müsste man eine Digitaluhr mit Mini-Taschenrechner tragen und auf der Nase eine Brille, die man vor fünf Jahren als zu groß empfunden hätte.

Hätte ich vor dem Ausgehen in den Spiegel geschaut und kurz gedacht, da stünde einer der weniger attraktiveren Charaktere des 80er-Jahre-Jugendfilms "Breakfast Club", dann wärs richtig gewesen. Denn der Nerd-Look mit übergroßen Hornbrillen und dem ausgestellt an Äußerlichkeiten Desinteressiertem ist mysteriöserweise in Mode. Es kann sich nur um einen Irrtum handeln. Wenn alles in Wellen verläuft und wiederkommt, müsste man dann nicht jetzt über diesen Style lachen, anstatt ihm zu huldigen?

Bild: taz
NATALIE TENBERG

ist Redakteurin im taz-Ressort "Gesellschaft, Kultur & Medien".

Die wahren Hüter des Klassengeodreiecks, also diejenigen, die in jeglicher Umgebung schräg wirken, streberhaft und altklug in ihrem Fachgebiet, verschanzen sich längst, wie Wirtschaftsminister Philipp Rösler, hinter rahmenlosen Silhouette-Brillen, in frisch gereinigten Anzügen oder Polohemden. Spießer-Nerds erkennt man, im Vergleich zu den Hipster-Nerds, daran, dass sie Bionade statt Club-Mate trinken und vielleicht sogar eine Wohnwand, wenn auch von BoConcept, besitzen. Ein richtiger Nerd-Look-Nerd würde niemals einen Leasingvertrag für das BMW-Einsteigermodell unterschreiben, sondern einen VW-Transporter kaufen.

Meistens aber bewegt sich der neue Nerd mit einem Fahrrad fort, das er einer betagten Dame aus dem Keller geklaut haben könnte. Er pedalt auf einem Klapprad oder einem Kettler-Alu-Rad - oder schiebt, weil ein paar Meter weiter die Polizei steht und das Licht an dem Nerd-Rad selbstverständlich kaputt ist. Ich sah sogar eine adrette junge Nerd-Frau, die ein No-Name-Rad vor der Uni ankettete, auf dessen Schutzblech ein entzückender Aufkleber prangte. Der sagte "Ja zu Bonn" und das Rad muss Vintage gewesen sein, also Second-Hand in besser klingend.

Seit diesem denkwürdigen Abend in Friedrichshain habe ich mir schon drei Leitz-Ordner gekauft und versuche so viel wie möglich mit ihnen durch die Gegend zu marschieren. Wenn es so weitergeht, prophezeie ich, kommt der, vielleicht in Kombination mit einer Aktentasche, wieder in Mode. Aber keine Sorge: Auch das geht vorbei.

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7 Kommentare

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  • GN
    Graf Nitz

    Ich bin Bad Homburger und beabsichtige auch, hier wohnen zu bleiben, also null Gentrizifierungs-Gefahr, liebe Neu- und Alt-Berliner!

     

    Also: Bionade doof, Clubmate gut. Was ist mit Fachinger, das trinke ich, weil ich diesen süßen Papp nicht ertrage?

     

    Ich habe übrigens ein Hollandrad, aber in 100% verkehrstüchtigem Zustand. Ist das dann sozusagen die Kristina Schröder unter der nicht automobilen Mobilität??

     

    Euer Adelsspross

  • P
    petronius

    was bin ich doch froh, nicht in berlin, dem nabel der welt (oder zumindest von lifestyle) zu leben, sondern in der (geistigen) provinz, wo man sich einfach so anzieht, wie es einem gefällt, ohne darauf zu schielen, in welche herde man sich damit zum mittrotte(l)n einreiht. wo man gelernt hat, mit den blicken der anderen zu leben oder sie einfach nicht so wichtig zu nehmen

     

    es ist schön hier in meiner (geistigen) provinz

     

    oder ist es etwa gar nicht provinz, sondern nur selbstbewußtes erwachsensein?

     

    wie auch immer: gestern bin ich in holzfällerhemd und gefälschten caterpillars ins büro, am tag davor wars ein weißes maßhemd zu gealterten jeans, und am tag davor sakko und bügelfalte. in berlin hätte ich mich wohl schon vor verzweiflung aufhängen müssen

  • MN
    mein name

    Frau Tenberg hat offensichtlich bis vor 2 Monaten noch in Tübingen gelebt...

  • J
    Jan

    Lieber Frau Tenberg,

     

    bin einer dieser karobehemdeten Hipster. Ihr Artikel hat mein Leben verändert, artikulierte er doch erstmals in Deutschland ein Gefühl, das für mich ebenfalls mit einem Besuch begann.

     

    Als ich vor einigen Tagen nach Feierabend, also gegen 13:30, mit mein Kettler-Alurad nach Charlottenburg radelte, ahnte ich nicht, welche Veränderungen dieser frühe Morgen anstoßen würde. Ich kette mein Rad auf ironische Art an, betrat ein für seine Ruhe bekanntes Kaffeehaus. Dann geschah es: DIESE BLICKE! SCHOCK! Ich fühlte mich: Zu jung! Dabei bin ich bereits 42 Jahre alt.

     

    Eine Gruppe anzugtragender Anwälte schaute mich mitleidsvoll an, ich senkte meinen Blick, starrte meine engen Hosenbeine entlang, mein Blick glitt zu Boden, drehte mich um, schlurfte aus der Tür.

     

    Seid diesem Erlebniss ist mein Selbstwertgefühl gestört. Ich frage Sie, Frau Tenberg, kundige Kennerin der Materie: Was hätte es gebraucht, um dort aufgenommen zu werden? Hätte die Abwesenheit eines Schnäuzers schon gereicht? Oder hätte gar ein richtiger Beruf genügt?

     

    Am späteren Nachmittag, also gegen 22:30, diskutierte ich das Erlebte mit meinen Freunden in der Hotellobby des Michelberger. Ich war kein Einzelfall! Viele von uns sind verunsichert. Ihr Artikel hat diese Verunsicherung auch bei den ironischsten von uns bestärkt.

     

    Wir, die Hipster Berlins e.V. , würde Sie gern zu einer gemeinsamen Veranstaltung als Key-Note-Speaker einladen. Bringen Sie Ihre Leitz-Ordner, kommen Sie im schwarzen Kleid. Aber bitte: Kommen Sie! Vor Ihnen gab es nur cool und uncool und wie man sich fühlt. Jetzt gibt es Sie: Die Royal Tenberg.

    Wir haben verstanden. Wir sind bereit Ihnen zu folgen, mag es noch so schmerzen. In eine Zukunft mit schwarzen Kleidern und ohne Alu-Räder.

     

    Herzlichst: Hipster

  • C
    Carsten

    Liebe Taz.

    Ist dieser Artikel euer Ernst?

    Ich bin ernsthaft entsetzt.

  • A
    alu

    Viel, viel geiler kommt eine Obstkiste auf dem Kettler-Alu und wenn dann ein Socken aus der transportierten Wäsche hopst, sollte er tunlichst vermeiden irgendwo zwischen Gabel und Kette zu landen. Kettler-Alu geht schnell kaputt.

  • P
    Piet

    "Hipster" sind doch soooo 10th of September!

    Die heißen anderswo schon längst "Lamestreamers"...