Kolumne Geschöpfe: Sinnvolle Gewalt gegen Sachen
Mein Verhältnis zu den Dingen war stets ein neurotisches, gewaltbereites, gebrochenes. Und jetzt ist es das erst recht!
T usch? Doch, er tuscht noch! Gedämpfter zwar als sonst, aber tuschen tut er, wenn auch sonst nicht mehr viel. Der Bildschirm bleibt schwarz verstaubt und leer wie die Oortsche Wolke. Mein guter alter Gefährte G4 von Apple, einst gepriesen als der "Maserati unter den Laptops", er ist am Ende; sozusagen ein ausgeweidetes Rostwrack auf dem Schrottplatz unter den Laptops. Ich tippte, er kalkulierte, es war die perfekte Symbiose von Mensch und Maschine. Nach all den gemeinsamen Jahren, gemeinsamen Geheimnissen, gemeinsamen Niederlagen und gemeinsamen Triumphen vorbei.
Das Ende kam von einer Sekunde auf die andere, und schon in der Sekunde danach hätte ich völlig ausflippen müssen, lehnte ich mich aber nur seufzend zurück, verschränkte die Arme im Nacken und empfand - nichts.
Das war seltsam. Normalerweise, wenn die Dinge mich im Stich lassen, reagiere ich alles andere als normal. Von der stummen Trauer bis zur kalten Wut ist da bei mir alles drin, vor allem kalte Wut, die auch schon mal fließend übergehen kann in nackte, eruptive, sinnlose Gewalt gegen Sachen, kaputte Sachen oder solche, die es erst danach sind, aber so was von endgültig. Wer in der gar nicht mal so seltenen Lage ist, Dinge wirklich gern haben zu können, ihnen zu frönen oder sich über sie zu beömmeln, der handelt in der Regel auch dann nicht eben vernünftig, wenn diese Dinge schließlich das Zeitliche segnen.
Wie damals, als sich das Getriebe meiner alten Yamaha irgendwo auf der Autobahn zwischen Stuttgart und München auf einmal in seine Einzelteile zerlegte. Ganz plötzlich klang das sonst so zuverlässige Brummen wie das kreischende Frühwerk der Einstürzenden Neubauten. Im Rückspiegel sah ich die schwarze Rauchfahne, die ich hinter mir herzog wie ein angeschossenes Kampfflugzeug. Ich zog die Kupplung, obwohl da gar keine Kupplung mehr war, nur Eisengeröll, und rollte antriebslos mit meiner Restgeschwindigkeit kilometerweit aus, bis auf einen Parkplatz, wo das Vierzylinderurviech seine letzte Umdrehung machte, bevor es erstarb. Da verlor ich eine ambulante Träne auf dem unbelebten Stahl und litt noch lange unter dem Ableben der dicken Japanerin
Ganz anders der verfluchte Nachmittag, als mir meine notorisch überhitzte Moto Guzzi mitten im Berliner Stadtverkehr abbrennen wollte - und ich mir auf die Schnelle nicht anders zu helfen wusste, als das schon lodernde Biest abzustellen und den Brandherd mit einem nassforschen Strahl aus meine Blase zu löschen, dabei der tröstenden Worte Immanuel Kants gedenkend, "dass die Dinge, die wir anschauen, nicht das an sich selbst sind, wofür wir sie anschauen, noch ihre Verhältnisse so an sich selbst beschaffen sind, als sie uns erscheinen". Klar, dass unsere Beziehung diesen peinlichen Vorfall nicht verkraftete: Die zickige Italienerin und ich, wir gingen daraufhin getrennte Wege.
Umso seltsamer, dass ich jetzt, wo mein treuer Computer seinen rätselhaften Geist aufgab, so teilnahmslos blieb. Lag's daran, dass dieses Ding kein Moped ist? Kein Mobiltelefon, kein Wecker, kein Videorekorder? Woher die stoische Ruhe, die buddhagleiche Gelassenheit? Ich wartete vier, fünf Minuten auf den Ausbruch, aber er kam nicht.
Vielleicht werde ich ja gerade erwachsen, dachte ich froh. Und vielleicht ist er ja gar nicht richtig tot, ich kann ihn nur nicht mehr benutzen. Er tuscht, und wahrscheinlich rechnet er auch noch, im Stillen, ganz für sich, ich hör's doch manchmal knistern. Er liegt also eher im digitalen Wachkoma, der Arme. Ich werde keine Sterbehilfe leisten, oh nein, ich nicht. Ich werde ihn einfach stehen lassen, direkt neben der alten Schreibmaschine, wie in glücklicheren Tagen, ich werde mit den Fingern bisweilen beiläufig seine Kanten abfahren und ihn - wer weiß? - an heißen Tagen sogar aufklappen.
Ja, so wird's gemacht!
Milde lächelnd steckte ich mir, verdutzt über meine eigene neu entdeckte Menschlichkeit den Dingen gegenüber, erst mal eine Zigarette an. Das heißt, ich wollte mir eine Zigarette anzünden. Ging aber nicht. Das beschissene Feuerzeug war kaputt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Wahlkampf in Deutschland
Rotzlöffeldichte auf Rekordniveau
Regierungsbildung nach Österreich-Wahl
ÖVP, SPÖ und Neos wollen es jetzt miteinander versuchen
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA entwerfen UN-Resolution zum Krieg in der Ukraine ohne jede Kritik an Russland