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Kolumne GerüchteDie Wiederkehr des Hochbettes

Auch meine Bekannten Lisa und Bernd zogen in eine kleinere Wohnung. Weil die Mittelschicht schrumpft.

Bild: privat

Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Sozialpolitik im Inlandsressort der taz.

Nicht alles ist zu kaufen. Für die Freude zum Beispiel braucht man keinen Ansparplan. "Die Farbe sieht so aus, als scheine die Sonne immer ein bisschen ins Zimmer", sagt Lisa und strahlt. Die Renovierung ist wirklich gelungen. Die Wände schimmern blassgelb. Und das Hochbett hat mehr Platz geschaffen. Ist ja auch nicht so einfach, nur noch 16 Quadratmeter für sich zu haben. Wenn man schon 50 ist.

"Es hat geklappt", pflegt Lisa auf die Frage zu antworten, wie es ihr und Bernd denn nun gehe ein Jahr nach dem Umzug, der vom Bekanntenkreis aufmerksam beobachtet wurde. Schließlich wechselte das Paar aus einem 110 Quadratmeter großen Dachgeschoss in eine Zweieinhalbzimmerwohnung mit nur 68 Quadratmetern Wohnfläche. Immerhin am Grunewald. Sie zahlen nur noch 600 Euro kalt und sparen damit glatte 500 Euro. "Wir sind Trendsetter", hatte Lisa damals verkündet, "wir werden nicht die Letzten sein, die in eine billigere Bleibe umziehen." Sie hatte Recht.

Denn es ist derzeit viel los in der Mittelschicht. T. und W. zogen um von Schöneberg in eine Villa nach Berlin-Westend, nachdem W.s Forschungsfirma so viel Geld abwirft und es mit T.s Professur geklappt hatte. Sabine hingegen migrierte aus dem grünen Lichterfelde ins billigere Kreuzberg, nachdem ihre Ehe pleite gegangen war. Ihr Mann hatte doch tatsächlich mit seiner Assistentin ein Verhältnis angefangen, wollte ein neues Leben beginnen, und da reichte das Geld eben nicht mehr für die Abzahlung des Hauses, sorry.

"Altbau, riesige Räume, das hat auch was", hatte mir Sabine von ihrer neuen preisgünstigen Bleibe am Schlesischen Tor erzählt, "die Kinder haben jetzt große Zimmer mit Stuckdecken." Die Freundinnen ihrer pubertierenden Tochter übernachten gerne bei ihr. Im Kiez gibt es ein Übermaß an gastronomischer Dienstleistung zu Billigpreisen. Und die Sache mit der "guten Schule" in sogenannten guten Gegenden zieht nicht mehr, wenn die Kinder groß genug sind, um mit der U-Bahn in jede gewünschte Schule zu fahren. Und Hundescheiße - ja, die Hundescheiße ist in Berlin wenigstens gerecht verteilt. Die gibt es auch in Zehlendorf reichlich. "Die Kinder sagen: In Kreuzberg ist einfach mehr los", hatte Sabine berichtet. Der Satz kam mir irgendwie bekannt vor.

"Kein Auto, nicht dauernd in Urlaub, und schon hast du weniger Geldsorgen", meint Lisa. Wir sitzen jetzt auf dem Balkon. Die Wohnung ist zwar klein, aber die Lage am Wald ist schon der Hammer. Man schaut direkt in die Bäume. Lisa kann inzwischen diverse Baumarten an Blättern und Rinde und fünf Vogelarten am Gesang unterscheiden.

"Man wohnt ein bisschen mehr in der Natur. Und man geht vorsichtiger miteinander um", sagt Lisa auf die Frage, wie Bernd und sie es miteinander aushalten auf so engem Wohnraum, "für eine kleine Wohnung braucht man ein großes Herz. Übrigens würden die Leute in Paris zum Beispiel immer noch jubeln über so viel Quadratmeter."

Typisch Lisa. Man wird im Leben von einer Phase in die nächste katapultiert, die wirklich wichtigen Dinge kann man nicht beeinflussen, das behaupten immer nur Leute, die zufällig auf der Gewinnerseite gelandet sind. Aber man kann sein Glaubenssystem und die Maßstäbe anpassen. Immerhin.

"Wichtig ist ein Zahnkonto", erläutert meine Freundin, "das sind Ausgaben, für die du wirklich sparen musst." Schon 800 Euro haben Bernd und sie für Zahnreparaturen zurückgelegt. Denn ihre Einkommen geben nur noch wenig her. Lisa musste die Arbeitszeit in ihrem Job als Sozialpädagogin aus gesundheitlichen Gründen verringern, auf eine Zweidrittelstelle und nur noch 1.300 Euro netto. Auch die Websiten-Minifirma von Bernd läuft nicht sonderlich gut.

"Zahnkonto", sage ich, "ihr seid doch noch gut dran. Unter den Menschen mit Abitur spart jeder Dritte überhaupt nicht. Habe ich neulich gelesen." Jetzt müssen wir noch im Keller den riesigen antiken Kleiderschrank aus Lisas früherer Wohnung zerlegen. Damit man ihn transportieren kann. Das gute alte englische Stück. Es ist verkauft.

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