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Kolumne GerüchteEin Hoch auf die Wärmedämmung

Wer ist eigentlich wirklich von der "Krise" betroffen? Gar nicht so leicht, jemanden zu finden. Ich habs versucht.

A uf "Krisen" ist meine Bekannte Gerlinde spezialisiert. Sie arbeitet bei einem Sorgentelefon. Diese Nummern, bei denen Verzweifelte anrufen. Eine alte Frau, die verzweifelt ist, weil ihr heute morgen die Zahnprothese gebrochen ist und sie befürchtet, deshalb an der Hochzeit ihres Sohnes nicht teilnehmen zu können. Oder der alkoholkranke Mann, der gemobbt wird. "Es geht immer um das subjektive Gefühl der Ausweglosigkeit", sagt Gerlinde, "objektive Maßstäbe müssen da an zweiter Stelle stehen."

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Sozialpolitik im Inlandsressort der taz.

Die Sache mit der Krise und den Maßstäben ging mir durch den Kopf, als ich vergangene Woche jetzt doch mal herumfragte, in meinem Bekanntenkreis. Zum Thema Finanzkrise. Wer kennt eine oder einen, der von der viel beschworenen Finanzkrise betroffen ist?

Damit meine ich jetzt nicht die Geldanleger. Leute wie S. zum Beispiel, dessen Depot "ein Jahresgehalt" an Wert verloren hat, wie er mir neulich beim Rotwein klagte. Mein Mitleid hielt sich in Grenzen, denn wessen Depot in diesen Wochen viel an Wert verlor, der hat im Allgemeinen in den Jahren davor auch ziemlich viel gewonnen.

Aber Leute wie Joachim waren eigentlich früher immer betroffen. Joachim ist mittelständischer Bauunternehmer, Spezialist für die Wärmedämmung von Fassaden und Fenstern, der sonst immer Horrorstorys zu erzählen wusste über Auftragsrückgänge und nicht zahlende Kunden. Doch ihm gehe es gut, sagt er. Sanierungen von Altbauten seien das kommende Ding, auch im Konjunkturpaket. Ein Hoch auf die Wärmedämmung! "Ich bin wohl eine Ausnahme", sagt Joachim.

Dann vielleicht M. Meine 40-jährige Nachbarin arbeitet in einem Schnäppchenmarkt. 1.300 Euro brutto für eine Vollzeittätigkeit. "Was soll sich bei mir noch verschlechtern?", meint M. "die Leute kaufen und kaufen, jetzt erst recht."

Nach der sogenannten Lippenstiftthese gehen in Wirtschaftskrisen vor allem jene Produkte gut, die zu niedrigem Preis die Befriedigung einer Konsumlust versprechen. Also eher ein neuer Lippenstift als ein neues, teures Kleid. Nette Theorie. Aber ihre freien Tage, so M., die müsse sie nach wie vor auf Feiertage in der Woche legen. Das habe der Arbeitgeber einfach so angeordnet. Einen Betriebsrat gibt es nicht. "Wenn ich protestieren würde, hieße es: Sie können ja gehen. Es finden sich genug andere, gerade in der Krise."

Bei Bine habe ich auch gefragt. Sie ist Hartz-IV-Empfängerin. Ihre Beschäftigungsmaßnahme läuft demnächst aus, "aber das war schon länger klar", erzählte Bine. Sie würde sich gerne verdient machen um die Konjunktur und auch konsumieren. Aber sie unterstützt bestenfalls den Chef von M., denn Bine kauft nur in Schnäppchenmärkten. Mithilfe von Freunden hat Bine immerhin eine alte Waschmaschine erworben, was die Existenz des örtlichen Gebrauchtwarenhändlers sichern half.

M. kennt eine waschechte Betroffene, ihre Cousine Friederike, die in einer schwäbischen Metropole einen kleinen Laden als Goldschmiedin betrieb. Nach Neujahr schloss Friederike ihr Geschäft für immer. Die Umsätze waren eingebrochen. "Seitdem die Automobilindustrie durchhängt und die Leute ihr Geld zusammenhalten, geht es in diesen Regionen abwärts", hat auch Joachim gesagt.

Joachim kannte nämlich auch einen Betroffenen aus Süddeutschland. Th., der als Ingenieur bei einem Automobilzulieferer arbeitet. "Die haben noch ihren Job. Aber eben auch viel Angst", erzählt er und ergänzt: "Die Aufträge sind dramatisch eingebrochen."

Am Ende lande ich bei meinem Onkel Heinz. Er ist 93 Jahre alt und hat die Weltwirtschaftskrise erlebt. Damals hätten Nachbarn, Verwandte, Bekannte, "alle ihre Jobs verloren", erzählt Heinz. Mit heute sei das nicht zu vergleichen, "diese Sache heute ist doch eher etwas Finanztechnisches. Aus den USA." Heinz schaut täglich mehrmals die Nachrichten. Seine Generation hat der Krieg geprägt. Ich bin überrascht, wie dieser Maßstab heute noch wirkt. "Das mit Gaza", sagt Onkel Heinz "weißt du, das finde ich wirklich traurig."

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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