Kolumne Geräusche: Ein armseliger Kehlkopf
Warum es manchmal besser ist, gar nicht erst wissen zu wollen, wie einer klingt, der gut schreibt.
M anchmal wird meine innere Stimme, die gute Seele, von ihrem gouvernantenhaften Dauergeplapper ein wenig heiser. Dann kann ich sie noch schlechter verstehen als sonst. Neulich etwa meinte sie zu mir: "Du wirst auch nicht mehr jünger!", woraus ich irrtümlich die Aufforderung ableitete, endlich mal Jünger zu lesen.
Nun sind die "Strahlungen", Ernst Jüngers Tagebücher von 1939 bis 1943, natürlich wirklich schön dick mit Zweitem Weltkrieg beschmiert. Es finden sich darin aber auch zwar wesentlich kältere, im Detail aber auch nicht weniger wahrhaftige oder berührende Beobachtungen als die von, sagen wir, Ingeborg Bachmann. Trotzdem wird vor allem in "linken Kreisen" über Jünger gesprochen, als wäre er ein gefährlich herrenloser brauner Koffer am Hauptbahnhof.
Quatsch. Wem der Sinn nach erzreaktionärem, nordisch-metaphysisch verschwurbeltem Scheiß steht, dem sei eher mal der "Herr der Ringe" empfohlen … - obwohl das jetzt, sorry, eine blöde Entgleisung war, die ich, wenns geht, gern streichen würde, weil ich mal gelesen habe: "Durch jede polemische Bemerkung, die man zurückhält, sammelt man Verdienst, und das umso eher, je mehr Geist sie enthielt" (Ernst Jünger).
Arno Frank (36) ist taz-Redakteur. Er kann lesen und schreiben. In seiner Freizeit spielt er gerne Flipper, hört schlechte Musik, schaut sich gute Pornos an und erschlägt manchmal kleine Hunde.
Ich hatte also ehrlich keine Ahnung, was irgendwer ernsthaft an diesem Schriftsteller auszusetzen haben könnte - bis vor zwei Wochen ein sehr geschätzter Kollege mit Blick auf die "Strahlungen" auf meinem Schreibtisch folgende Bemerkung fallen ließ: "Na, betreibste wieder deine Nazi-Studien?"
Solches nicht auf mir sitzen lassen könnend, suchte ich ambulant im Internet nach Belegen für Ernst Jüngers Engagement im Widerstand - und stieß auf ein "YouTube"-Filmchen, in dem der Autor höchstpersön… Herrgott! Wie redet der denn? Was ist das bloß für ein widerwärtiges, in kaiserlichem Kasernenhofton klirrendes, schrecklich selbstgerechtes Organ? Diese schnarrende, von innerer Haltung wie von einer Hornhaut überpanzerte Offiziersstimme! Oder, wie Carl Schmitt später schrieb: "Diesen armseligen Kehlkopf möchte ich nicht sehen […] Die ärmste, engste Stimme, die ich in meinem Leben gehört habe."
Ich stimmte zu, noch sprachlos, leistete beim Kollegen Abbitte und verbannte den Jünger angewidert aufs Klo. Weil ich ihn, mit seiner Stimme im Kopf, einfach nicht mehr lesen mochte. Ich war geheilt. Für zwei Wochen. Gestern nahm ich die "Strahlungen" bei einer längeren Sitzung dann doch noch mal her, blätterte sie zerstreut und mit erkalteter Leidenschaft auf und las zufällig: "Am Nachmittag hörte ich zum ersten Male meine Stimme, und zwar von einer Wachsplatte. Zu meinem Erstaunen besaß sie durchaus den Tonfall jener eingefleischten und geistig prüden Hannoveraner in mittleren Jahren, der mir seit jeher unangenehm gewesen ist. So wenig kennen wir uns". Ich lese jetzt doch weiter, nachts, mit der Taschenlampe, unter der Bettdecke.
Text: "Everybody knows whats going wrong with the world / But I dont even know whats going on in myself" (The The, "Slow Emotion Replay")
Musik: Unter Schuhsohlen knirschender Neuschnee
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