Kolumne Geräusche: Die Sache mit "Brumm" und "Plopp"
Elektromobile der Zukunft könnten ganz leise sein. Doch der Blindenverband und die Autoindustrie sind dagegen. Und was wäre Babybrei ohne Vakuum-Knacken?
F ast wäre ich beim letzten Oktoberfest in München zum Mörder geworden. Ich sollte für eine Redaktion ein Elektroauto testen und fuhr damit durch die Stadt, in der sich schon morgens um 11 Uhr schwankende Gestalten in Richtung Theresienwiese bewegten. Ein Mann in Lederhose war offenbar im Vertrauen auf seine Ohren auf die Straße getreten, ohne sich vorher umzuschauen und dabei - sackerzement! - fast vor mein Auto gelaufen.
Er hatte mich nicht kommen hören und schüttelte noch eine Weile fassungslos den Kopf. Auch ich wunderte mich über die absolute Stille im Innenraum meines Testfahrzeugs. Ich rollte durch die Stadt und hörte bei geschlossenen Fenstern die Amseln auf den Bäumen singen.
Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) hat kürzlich von der Automobilindustrie gefordert, alle Elektrofahrzeuge so akustisch auszustatten, das man sie eindeutig als eine sich nähernde Gefahrenquelle erkennen könne, und bei der UNO wird zurzeit darüber nachgedacht, einen standardisierten Sound für elektrisch betriebene Kraftfahrzeuge aller Art weltweit einzuführen.
Philipp Mausshardt ist Autor der taz.
Wahrscheinlich wird es auf ein Summen oder eine Art Katzenschnurren hinauslaufen in E-Dur oder a-Moll. Ein warmer, angenehmer Ton, der in wenigen Jahrzehnten den Erdball umhüllen wird wie Nougatcreme die Haselnuss. Wer jedenfalls hoffte, der Anbruch des elektromobilen Zeitalters würde vor allem unsere gestressten Ohren entlasten, sieht sich enttäuscht. Der Lärm der Zukunft hört sich nur anders an, im besten Fall angenehmer.
Geräusche, die kein Mensch braucht
Tatsächlich arbeiten bereits Geräuschingenieure verschiedener Hersteller am Autoklang im Sinne des Blindenverbandes. Bei Volvo will man schon recht weit damit gediehen sein, alles noch streng geheim, aber ein Soundexperte ließ schon mal durchblicken, dass man sich für die Kunden eine Mischung aus wohligem Surren und aggressivem Knurren ausgedacht habe, das die sportlichen Autofahrer nicht enttäuscht und gleichzeitig ihre sanften Beifahrerinnen nicht erschreckt.
Sounddesigner nennt man diesen Berufsstand, der längst in allen Branchen sein Unwesen treibt, um Geräusche zu erfinden, die kein Mensch mehr braucht. Als man beispielsweise noch Lebensmittel durch Vakuumierung haltbar machte, erklang beim Öffnen von Orangensaftflaschen oder Babynahrung immer ein kleines "Plopp". Heute kennt man in der Lebensmittelindustrie längst bessere Verfahren.
Weil aber junge Mütter eine große Angst haben, ohne das seit eigenen Kindheitstagen vertraute "Plopp" könnte der Gemüsebrei vielleicht verdorben sein, muss so ein armer Sounddesigner eine Verschlusskappe erfinden, die "plopp" macht, obwohl gar kein Vakuum herrscht. Oder ein Auto, das "brumm-brumm" macht.
Wir leben akustisch längst im 21. Jahrhundert, aber unsere Ohren dürfen das nicht wissen. Sie sollen denken, es sei noch das "Brumm-brumm"- oder "Plopp-plopp"-Zeitalter. Warum erzeugt eigentlich die Tastatur meines Computers nicht so ein Klappern wie meine alte Schreibmaschine? Auch diese Kolumne wäre dann sicher viel lustiger geworden.
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