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Kolumne GelassenheitDeutschland bleibt cool

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Hierzulande hat man kaum Angst vor der Finanzkrise. Der Spielplatz hysterischer Aufregungen ist woanders.

M an muss offenbar einer extraordinären Sorte Mensch angehören, um die aktuellen Wirbel um Börsen, Investments und Tantiemen echt nachfühlen zu können. Der Rahmen meines ökonomischen Tuns ist schlicht umrissen, und mir geht der Verdacht nicht aus dem Kopf, dass es den allermeisten Menschen so geht: Lohnarbeit, wenig bis gar keine Überbleibsel so um den 20. eines Monats herum, der Dispo chronisch überzogen. Man zahlt lieber ab, als dass man spart. Gespart wird nur aus zwangsläufigen Gründen. In Form einer Lebensversicherung, Riesterrente. Ich spreche von jenen, die leidenschaftliche Kartenspieler sind - Doppelkopf, Skat -, aber niemals um Geld spielen würden. Denen Geld kein Fetisch ist.

taz

Jan Feddersen ist Autor und Redakteur in den Ressorts taz.mag und tazzwei.

Das muss nicht als besonders günstiger Charakterzug genommen werden, aber so ist es nun mal. Die einen finden die Idee des Autofahrens geil, die anderen fahren mit zerbeulten Keksdosen über die Autobahn. Irgendwie, so ist mein Eindruck, hat sich Deutschland in dieser Krise - Steinbrück hin, Merkel her, ihren Beruhigungsrhetoriken zum Trotz - als cool erwiesen. Männer und Frauen in einem Land, die, so sieht es aus, wie zugedröhnt in Lounges sitzen und irgendwie zu denken scheinen, Wall Street und all seine Geckos sind das eine, die spießige Welt der Sparkassen, Bausparverträge und Riesterrenten das andere.

Nix mehr von Hysterie wie vom Ende der Zwanziger, als Weltwirtschaftskrise war und Deutschland wieder einen Kaiser suchte und Hitler fand. In meiner Kindheit wurden meine Großeltern noch fahlweiß im Gesicht, kam die familiäre Erinnerung auf die Jahre der Geldentwertung - und also die Ausplünderung der lohnarbeitenden Klassen - zu sprechen. Alles war weg, Hunger drohte, Angst herrschte, Furcht im Allgemeinen. Der kühler zugeschnittene Gemütszustand von heute könnte auch etwas mit der Entchristlichung unserer Kultur zu tun haben. Etwa unterfüttert mit dem Satz: Vor 80 Jahren war das Sein im Marktwirtschaftlichen unentwegt genährt von biblisch inspirierten Bildern vom Jüngsten Gericht, von Apokalypse, von Pech & Schwefel, welche vom Himmel regneten.

Und heute? Man lernte, Banken nicht mehr, haben sie sich aufs Spekulieren verlegt, allzu sehr zu vertrauen; aber lohnt sich denn Misstrauen? Selbst wenn, wäre ein grundsätzliches Nichttrauen ein Gefühl, das geradewegs in die Depression führt - und wer will das schon? Also: Kann man alles nicht ändern.

Und das möchte doch als Fortschritt gelesen werden: Die momentan spürbare nur Viertel-bis Halberregung um Börsen & Banken ist durchdrungen von einem warmen, mediterranen Gefühl, das man "Das Leben geht weiter" und "Wird schon" nennen könnte.

Der Spielplatz hysterischer Aufregungen ist woanders. Auf den Straßen, in Cafés, in Treppenhäusern oder auf Plätzen - überall geht das Leben so weiter wie bisher. Vielleicht sind Zocker irgendwo am Werk, so wie eine Bekannte, die als Krankenkassenbeamten das bizarre Hobby pflegt, ein wenig an Börsen mitzuspielen. Neulich hatte sie 20.000 Euro verloren - aber die waren verkraftbar, denn sie hatte über 20 Jahre 160.000 Euro gewonnen. Man muss sie sich als eine glückliche Frau vorstellen: Wenn man ihr sagt, dass ihre Einsätze auf Festgeldkonten ihr mehr gebracht hätten, guckt sie, als würde sie die Bemerkung in kein ihr zugängliches logisches System einordnen können. Sie will doch spielen! Nur spielen! Nicht horten! "Geld tut gut", sagt sie, aber sie ist ja auch in ihrer eigenen Welt und nicht in unserer, denen Kohle ist, was der Dispo noch eben möglich macht.

Dass man ihr - und anderen Hobbyspekulanten - nun das Ende des Kapitalismus weissagt, will ihr nicht in den Kopf. Sie sagt nur: Warum ist nur keiner offen schadenfroh, dass ich und viele andere gerade sehr viel verlieren und dies noch weiter tun werden? Aber, verehrte Freundin, das sind wir doch: glücklich, dass nicht jedes Spiel auf jedem Spielplatz mit echtem Geld gut ausgeht. Ihr weiterhin viel Glück. Und uns ein gemächliches, cooles Leben.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

2 Kommentare

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  • RJ
    Raptor Jesus

    Das Cool-sein nennt man auch Angststarre

  • HD
    Humpty Dumpty

    Auch die Taz geht viel zu leichtfertig mit dem Wort "Kapitalismus" um zur Zeit. Nicht scheint zur Zeit hartnäckiger fortzubestehen als ebendieser: Kapitalismus ist Privateigentum an Produktionsmitteln auf der einen Seite und Lohnabhängigkeit auf der anderen, nicht etwa "übermäßiges" Gewinnstreben oder Aktienhandel. Wo ist bitteschön von einer Abschaffung dieser Ordung die Rede?