Kolumne Frauen: Von Kälbchen und Puderdosen
Ein klarer Fall von Mannalphabetismus: Ich sehe viel, aber erkenne nichts.
Reden wir nicht lange drum rum: Dies ist eine Kolumne übers Scheitern, mein verdammtes Scheitern. Jaja, ich habs mal wieder verbockt.
Um ein Haar wäre diese Kolumne eine ganz besondere geworden, eine von bleibendem Wert, eine, die nicht morgen schon Altpapier ist. Um ein Haar hätte diese Kolumne nämlich Einblick in ein überaus intimes Kapitel im Leben von Bascha M., der Chefredakteurin dieser kleinen Zeitung, gewährt, eine Angelegenheit, von der zu erfahren die Öffentlichkeit ein Recht hat. Um ein Haar hätte meine Chefin mir ihre Puderdose gezeigt.
Wir hatten uns sogar schon lose verabredet, neulich, bei einem Umtrunk auf der taz-Dachterrasse. In einem Kreis von Kollegen standen wir da so rum und bewunderten das ziemlich feminine Handy des Vertriebskollegen Franz S. Entgegen meiner Unterstellung hat er es nicht seiner Schwester geklaut, behauptet er zumindest, sondern sich aus freien Stücken für dieses goldfarbene, mit floralen Applikationen verzierte technische Wunderwerk eines finnischen Mischkonzerns entschieden. Und weil wir gerade bei Accessoires für die Frau von heute waren, begann Bascha M. von ihrer Puderdose zu erzählen, die kaum dicker ist als ein modernes Klapphandy und ähnlich schick, sodass man sich damit auch guten Gewissens in aller Öffentlichkeit nachpudern kann und es nicht verschämt auf irgendeiner Toilette tun muss.
Das und noch vieles mehr hat sie erzählt und ich hab das meiste leider schon wieder vergessen - typisch! Woran ich mich immerhin noch erinnere, ist, dass ihre Schilderungen einer gewissen Erotik nicht entbehrten: Eine Frau und ihre Puderdose - das ist wohl so ähnlich wie ein Mann und sein Pferd respektive sein Rasenmäher. Vor diesem Hintergrund erscheint es mir als besonders große Ehre, dass Bascha M. mir bei dem Umtrunk angeboten hat, ihre Puderdose mal auszuprobieren - vorausgesetzt, ich besorge mir einen eigenen Pinsel oder wie das heißt.
Und jetzt sitze ich hier an meinem Schreibtisch mit Blick in ihr Büro und frage mich, ob es ihr wohl gerade passt, ob sie ansprechbar ist. Seit Tagen geht das so, eigentlich schon immer.
Denn in diesem Fall wiederholt sich nur, was schon hundertfach war: Ich kann das Verhalten von Frauen nicht lesen. Ein klarer Fall von Mannalphabetismus. Ich sehe viel, aber erkenne nichts. Soll ich klopfen und reinspazieren? Und dann? Was sage ich dann? Du Bascha, lass uns doch nochmal über deine Puderdose quatschen? Nee, oder? Das geht so nicht. So was muss sich doch ergeben! Tja, und jetzt bin ich mit der Kolumne dran und es hat sich immer noch nicht ergeben, wird es vielleicht nie.
Womit wir bei meiner Grundschulfreundin N. wären, in die ich so verknallt war, dass ich auf der Farm meines amerikanischen Onkels ein neugeborenes Kälbchen nach ihr benannt habe.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich in den Sommerferien auf dem Fahrrad Runde um Runde um ihr Elternhaus gedreht habe - in der Hoffnung, dass ich sie wie zufällig treffe, und zugleich in furchtbarer Angst davor: Was sollte ich sagen? Wie sollte ich mich verhalten? Wohin mit meinen feuchten Händen? Solche Sachen. Warum ich nicht einfach geklingelt habe? Weil ich tot umgefallen wäre, natürlich. Später dann, es war in der neunten Klasse, hat sie sich auf dem Rückweg von einem Ausflug auf meinen Schoß gesetzt. Zusammengekommen sind wir nie, weil ich nicht wusste, wie man das anstellt und ob sie das überhaupt gewollt hätte.
Nach dem Abi ist der Kontakt, schon vorher deutlich ausgedünnt, endgültig abgebrochen. Als ihr Vater ein Pflegefall wurde, wollte ich N., die mittlerweile in Frankreich lebt, einen Brief schreiben, weil die Nachricht mich berührt hatte. Es blieb bei der Idee - wie das manchmal so ist. Kürzlich habe ich N. wiedergesehen. Ich hätte sogar gewusst, was zu sagen gewesen wäre, aber sie konnte mich nicht hören. Es war nämlich ein Foto, ihr Hochzeitsfoto: Liebe N., von Herzen alles Gute für die Ehe mit diesem Franzosen, der mir nur ein bisschen unsympathisch war.
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