Kolumne Frauen: Ein Stoiker in Stuttgart
Ohne mich ist mein Fitnessstudio so leer und Maria eine traurige russische Frau.
Am Wochenende war ich in Stuttgart. Eine seltsam förmliche Stadt, in der sich die Verkäuferinnen mit "Fräulein" plus Vornamen anreden - aber das nur nebenbei. Und das ist passiert:
Freitagnacht lag mir plötzlich eine Stuttgarter Blondine zu Füßen. Nach einer Schrecksekunde habe ich ihr aufgeholfen. Sie hat sich nicht bedankt. Sie muss sehr betrunken gewesen sein. Ob sie mich überhaupt bemerkt hat?
Samstagmorgen hat mir ein Werbeplakat gegenüber meinem für Stuttgarter Verhältnisse unverschämt günstigen Hotel eine folgenreiche Frage gestellt: "Warum nach Metzingen?" Ja, warum eigentlich? Zum Shoppen natürlich! Wenn die Schwaben nicht gerade Häuser bauen, kaufen sie sie voll. Und da ich als Tourist immer versuche, mich den landestypischen Gegebenheiten anzupassen, habe ich Zur-Miete-Wohner im Rahmen meiner bescheidenen finanziellen Möglichkeiten mitgeshoppt - allerdings nicht in der brechend vollen Stuttgarter Innenstadt, auch nicht im Fabrikverkauf-Eldorado Metzingen, sondern gegenüber meinem für Stuttgarter Verhältnisse unverschämt günstigen Hotel.
Eigentlich wollte ich nur mal gucken, doch da hatte ich die Rechnung ohne Eberhard Massa gemacht (dessen Name ich lustigerweise erst von der Rechnung erfahren habe). Mit schwäbischer Präzision hat er mich durch den Einkaufsvorgang gelotst. Als ich nach einem schwarzen Anzug in der Slim-Fit-Variante griff, legte Herr Massa flugs einen anderen Anzug daneben. Der sei "etwas großzügiger geschnitten", sagte er gütig. Ich probierte beide Jacken an - dreimal dürfen Sie raten, welche besser passte. "Tun Sie sich den Gefallen und halten Sie dieses Gewicht", sagte Herr Massa väterlich, während er meinen Hüftspeck inspizierte. Ich musste an die Postkarte meines Fitnessstudios denken, die vor ein paar Wochen bei mir im Briefkasten lag und mich mal wieder an die Existenz des Studios erinnern sollte. "Ohne dich bin ich so leer", stand darauf. Es klang vorwurfsvoll. Ich sollte wirklich mal wieder hingehen.
Halten wir fest: Ich weiß zwar noch nicht, wo und wie ich Silvester feiern werde, aber gute Vorsätze für 2009 habe ich schon reichlich: Weniger Bier, weniger Gummibärchen, weniger Nachtfressereien nach dem Ausgehen ("Ausgehen" ist ein seltsames Wort - ich möchte nur den Eindruck vermeiden, dass ich nachts wachwerde und dann den Kühlschrank plündere. So was machen nur Schwangere!). Eigentlich lässt sich das alles in einem guten Vorsatz zusammenfassen: Mehr Disziplin!
Schließlich habe ich den etwas großzügiger geschnittenen Anzug gekauft - allerdings mit einer noch etwas großzügiger geschnittenen Hose, die Herr Massa mir rausgesucht hatte. "Damit habe ich ein besseres Gefühl", sagte der ältere Herr. Ich wollte ihm widersprechen, konnte aber nicht, da die Hose wirklich wesentlich angenehmer saß als die andere. Ich fühlte mich wie eine männliche Bridget Jones, pummelig, unattraktiv - erst recht, nachdem ich den Anzug wieder ausgezogen hatte. So ein schwarzer Anzug ist das gnädigste Stück Stoff der Welt. Ich sollte nichts anderes mehr tragen - zumindest, bis ich mal wieder im Fitnessstudio gewesen bin.
Bevor jetzt zu meinem Selbstmitleid auch noch Ihr Mitleid kommt, eine wichtige Feststellung: Die Frauen lieben mich trotzdem - ha! Ich bekomme sogar Liebesbriefe von Frauen, die ich noch nicht mal kenne, am Freitag erst wieder. Darin schrieb mir eine gewisse Maria: "Ich suche die Liebe und der neuen Freunde. Moglich werde ich die Liebe finden. Mir 28 Jahre. Ich bin die russische Frau." Und: "Viele Leute sagen dass ich schon. Ich kann nicht daruber richten. Ich weiss nicht. Moglich es so. Ich werde dir mein fotos im nachsten Brief senden. Du kannst anschauen. Was du mich noch wissen willst? Keiner Spiele, bitte. Es ist es sehr schwer, die Liebe und das Gluck nach unserer Welt zu finden. Aber ich glaube doch dass ich die Liebe im Internet finden kann. Moglich es du?"
Okay, ihr Deutsch ist ausbaufähig, aber ansonsten klingt sie doch sehr nett. Ich glaube, ich werde Maria gleich mal antworten.
DAVID DENK
FRAUENFragen zu Herrn Massa? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Dribbusch über GERÜCHTE
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