Kolumne Fernsehen: "Natürlich hat ers getan"

Das US-Fernsehen spricht sein Urteil im Zweifel gegen den Angeklagten.

Es ist ein klarer, ruhiger Herbstmorgen. Ein guter Tag, um irgendwo am Ende der Welt zu sitzen und über nette Belanglosigkeiten zu plaudern. Das heruntergekommene Café an der alten Route 66 mitten in der kalifornischen Mojave-Wüste ist ein passender Ort dafür. Eric Archbick findet auch, dass es ein guter Tag zum Plaudern ist. Was eignet sich als unverbindlicher Einstieg in ein gemütliches Gespräch besser als das laufende Fernsehprogramm? "Natürlich hat ers getan." Der Farmer nickt befriedigt mit dem Kopf in Richtung Bildschirm. "Es gibt nicht den geringsten Zweifel."

Er: das ist Drew Peterson. Noch vor einem Monat kannten ihn nur seine Kollegen, seine Freunde und seine Familienangehörigen. Mittlerweile kennt ihn das ganze Land. Seine - vierte - Ehefrau Stacy wird seit Ende Oktober vermisst. Der 53-Jährige wird verdächtigt, sie ermordet zu haben. Und nicht nur sie, sondern möglicherweise auch seine dritte Ehefrau Kathleen, die vor einigen Jahren tot in der Badewanne gefunden wurde. Ein Unfall: mit diesem Befund wurden damals die Untersuchungen abgeschlossen. Jetzt wurde sie exhumiert. Man muss abwarten. Muss man abwarten? Die Moderatorinnen und Moderatoren der Morgennachrichten, der Abendnachrichten, der Talkshows, der Enthüllungsmagazine warten nicht ab. Sie erörtern die fesselnde Frage, ob Drew Peterson nun eigentlich ein Serienkiller oder doch "nur" ein Mehrfachmörder ist. Seine Schuld steht außer Frage. Bill OReilly, der reaktionäre Anchorman des Senders Fox, kann gar nicht fassen, dass die Ermittler seinerzeit bei Kathleen an einen Unfall geglaubt haben: "Das haben sie gekauft?" Bill wäre das nie passiert.

Drew Peterson hat inzwischen seinen Job als Polizist verloren. Die beiden Kinder leben bei Verwandten. Was immer er tut - er liefert damit nur neue Beweise für seine Schuld. Am Anfang der Ermittlungen wich er Reportern aus und verbarg sein Gesicht. Wie Schuldige das zu tun pflegen. Seit einigen Tagen gibt er Interviews. Was zeigt, dass er sich nicht konsequent verhält - ein weiteres Indiz für seine Schuld.

Der Ehemann behauptet, seine Frau sei mit einem anderen Mann durchgebrannt. Die Moderatoren wundern sich, dass er nicht intensiver nach seiner Frau sucht und keinerlei Trauer zeigt. Psychiater analysieren seine Körpersprache: schuldig. So genannte Freunde erklären vor der Kamera, warum sie ihn inzwischen ebenfalls für einen Mörder halten. Die zweite Ehefrau gibt Zeitungsinterviews und sagt, dass sie schon lange Angst vor ihm hatte. Zuschauer rufen an und sagen ihre Meinung. Ach ja: die Anwälte werden auch befragt. Ihre Hinweise, dass Peterson bis zu einer Verurteilung als unschuldig zu gelten hat und dass es möglicherweise nie zu einem Prozess kommen wird - schließlich gibt es keine Leiche - wirken bestenfalls naiv. Bei einer Treibjagd sind sachliche Argumente hinderlich.

Ich glaube übrigens auch, dass Drew Peterson schuldig ist. Die Fülle der Indizien und die anmutige Form, in der sie auf allen Kanälen präsentiert werden, erlauben gar keine andere Schlussfolgerung mehr. Wenn Petersons Anwälte klug sind, dann begeben sie sich auf der Suche nach unvoreingenommenen Jury-Mitgliedern in Krankenhäuser und suchen nach Bewusstlosen. Nur Höhlenmenschen und Koma-Patienten können von der Berichterstattung der letzten Wochen unbeeinflusst geblieben sein.

Als Pausenfüller berichtete der Sender Fox jetzt noch kurz über einen anderen Fall. Nämlich über den von Christopher Ochoa, der wegen Vergewaltigung und Mord 12 Jahre im Gefängnis saß, bevor er 2001 wegen erwiesener Unschuld freigelassen wurde. Seither hat er Jura studiert, und nun möchte er Staatsanwalt werden: "Das System ist nicht perfekt", meint er. "Aber es ist das beste auf der Welt." Hm. Es gibt Länder - unfassbar, aber wahr - in denen Verdächtige, die noch nicht verurteilt wurden, besser geschützt werden. Manchmal bekomme ich Heimweh.

Fragen zur US-Justiz? kolumne@taz.de Morgen: Martin Reicherts LANDMÄNNER

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