Kolumne Einfach gesagt: Zwischen Porno und Salafismus
Deutsche Leitkultur unter Jugendlichen ist auch eine Kultur des sexuellen Überschwangs. Aber wenn Tabulosigkeit zum Dogma wird, ist sie auch nicht besser als Religion.
Mir ist euer Islam noch immer lieber als unsere ganze deutsche Ficki-Ficki-Leitkultur!“, sagte die Mutter mit drei Kindern dem Mann am Dönerspieß zur besten Mittagszeit. Er drehte sich um und fragte: „Mit allem drum und dran?“ Und sie: „Haste nicht gehört, mein Freund? Eure strenge Spießerreligion find’ ich spitze für die Jugend, im Vergleich zu dem ganzen Pornogetröte da draußen.“ Der Dönerimbiss befand sich auf der Reeperbahn, die Schlange hinter ihr war lang.
Der Wirt zuckte mit den Schultern: „Geht mich nichts an, was gut für wen ist und ich hab außerdem keine Kinder.“ Ein Schnurrbärtiger mit Cowboyjacke mischte sich ein: „,Mein Dreizehnjähriger hat neulich nach Gruppensex in Hamburg gegoogelt, da war ich schon übel baff. Aber hätte er Salafisten in deiner Nähe gesucht, hätt’ mich das noch übler geschockt.“ Eine junge Frau im Parka mischte sich ein: „Ey Leute, zwischen Porno und Salafismus ist ziemlich viel Platz.“ Die Mutter rief: „Kann sein, ne, aber wenn der Mazière von deutscher Leitkultur labert, was meint der denn damit in meiner Welt?“
Der Schnurrbärtige sagte: „Sicher nich’ Party, Bumsen et cetera pp.“ Die Mutter sagte: „Dem Mazière seine Kinder hatten vielleicht Klavierstunde, aber die meisten von Unsereins gehen im Tal der Freikörperlichkeit verloren. Meine Älteste geht quasi in Unterhose und BH zur Schule und sagt, das is’ Feminismus!“
Das Mädchen im Parka seufzte und der Schnurrbärtige gab zu Bedenken: „Aber der Islam ist jetzt vielleicht auch keine Topalternative für Mädchen ohne Grenzen.“ Der Wirt sagte: „Und deutsche Kultur ist doch nicht nur Sexkultur, es gibt doch zum Beispiel auch Esskultur: Mettbrötchen und Cremesuppe.“ Mit einem Zwinkern überreichte er der Mutter mit den drei Kindern den Döner.
Deutsche Leitkultur unter Jugendlichen ist sicher auch eine Kultur des sexuellen Überschwangs. Vielleicht ist Übersexualisierung sogar längst ein neuklassischer Bestandteil deutscher Kultur.
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. In der taz schreibt sie im Zwei-Wochen-Takt über fragwürdige Aussagen.
Bei Rechten, zum Beispiel auf dem Blog der Autorin Cora Stephan, ist die Rede von der großen sexuellen Frustration junger männlicher Flüchtlinge. Was geht die das an? Und überhaupt: Sexuelle Frustration wird – traditionell unsachlich – doch eigentlich Feministinnen unterstellt. Und fast schon besorgt frage ich mich zuletzt, warum eine über Sechzigjährige die Sexualität von glutäugigen Minderjährigen überhaupt so beschäftigt.
Wie auch immer. Eine politische Debatte mit sexuellen Fantastereien zu belästigen, ist Blödsinn. Aus einer hedonistischen Ecke erblühte einst #hotrefugees. Darunter sammelte man abfotografierte, hübsche Geflüchtete, die in Lagern oder Bahnhöfen Interviews gegeben hatten.
Die Freiheit der westlichen Kultur bietet viel Vergnügen und Großartiges, aber wenn Tabulosigkeit zum Dogma wird, ist sie auch nicht besser als Religion. Schon im letzten Jahrtausend galt sexuelle Selbstverwirklichung in der Bravo und deutschen Großstädten als Muss, Hemmungslosigkeit und One-Night-Stands waren trendy. Alles Usus wie Ballermann, Komasaufen und Rassismus. Wäre De Maizières Punktekatalog zur deutschen Leitkultur aufrichtig gewesen, er hätte ihn geschreddert.
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