piwik no script img

Kolumne Einen Versuch legenHinterm Ohrwaschl-Meridian

Warum Jan Ullrich ein Held des Radsports ist und ein Novartis-Logo auf das Trikot eines jeden Profiradlers gehört.

Für mich hat Jan Ulrich 1997 die Tour de France gewonnen, egal, was er geschluckt oder gespritzt hat, und ich respektiere Lance Armstrong in höchstem Maße für seine sieben Toursiege, auch wenn Epo im Spiel war. Ich hege Misstrauen gegenüber dem Antidopinggeschrei. Es gibt Journalisten, die nichts dabei finden, Alexander Winokurow als Betrüger zu bezeichnen, obwohl sie sich selber von einer Plattenfirma nach Las Vegas einladen lassen und eine Lobeshymne über die stromlinienförmige Popsängerin schreiben, die anschließend durch Deutschland tourt.

Bild: sabine grudda

Die neue Kolumne der Leibesübungen, "einen versuch legen", angelehnt an den Touchdown im Rugbysport, erscheint 14-tägig unter wechselnder Autorenschaft. Den Anfang macht Dr. Med Georg Ringsgwandl; er praktiziert als Chirurg und Kabarettist.

Manchmal heißt es, wir Zuschauer haben ein Recht auf sauberen Sport. Wie? Saufen, sich abseilen, wos nur geht, aber die Sportler sollen schuften in heiliger Reinheit? Auf was für einem Planeten seid ihr denn daheim? Abgesehen davon, dass keiner glaubt, man könne in Indonesien dopingfreie Meisterschaften abhalten, habe ich auch noch nie erlebt, dass jemand seinen gut bezahlten Job bei Siemens, MAN oder Thyssen aufgibt, nur weil er von Aufträgen bezahlt wird, die per Korruption an Land gezogen wurden. England, das die Demokratie schon etwas länger pflegt als wir, hat kürzlich ein Gerichtsverfahren wegen Korruption abgeblasen, weil der britischen Industrie sonst lukrative Aufträge im Nahen Osten durch die Lappen gegangen wären. Nur wer mit der Wirklichkeit auf Kriegsfuß steht, glaubt, man könne in Arabien Verkehrsampeln verkaufen, ohne drei Prinzen zu schmieren. Ich meine nicht, dass man nach dem Motto "Egal wie dreckig, Hauptsache es bringt Geld" verfahren sollte. Es würde uns aber, auch angesichts der jüngeren Geschichte, etwas wirklichkeitsgeerdete Bescheidenheit gut kleiden. Die vorherrschende Tierart auf diesem Planeten heißt Mensch und danach riecht es hienieden. Sportler sind nicht weniger mündig als wir Normalsüchtige und sollten sich ihre Drogen genauso aussuchen dürfen.

Ich respektiere herausragende Leistungen. Sie sind, ob gedopt oder nicht, die Frucht langer Entbehrungen und großer Mühen. Das Werk Willy Brandts verdient große Achtung, auch wenn er zu viel gesoffen hat. Franz Josef Strauß, selig, hat viel Gutes getan, auch wenn die Liste seiner Verfehlungen lang ist. Wer von sich sagen kann, er sei ohne Sünde, der hebe den ersten Stein.

Ein Vorschlag: Wie wäre es mit dopingoffenem Sport: Jeder dopt, so, wie er will und das auf eigene Gefahr. Er muss nur sagen, was er genommen hat. Warum sollten Sportler nicht wie Formel-1-Autos die Logos der sponsernden Firmen auf dem Trikot tragen? Powered by Sanofi, Novartis, Bayer und Schering? Ich vermisse ein klares Bekenntnis zur Chemie.

Wenns nach mir ginge, könnten die Fußballer gedopt sein wie die Legehennen. Ich will keine saubere Bundesliga, sondern eine interessante. Oder Showgeschäft: interessiert irgendjemand außer Bunte, Bild und Ökotest, was Robbie Williams einnimmt, bevor er auf die Bühne geht? Ist das etwa nicht unlauterer Wettbewerb gegenüber einem, sagen wir, vegetarisch grillenden Liedermacher wie Reinhard Mey? Wo bleibt da die Entrüstung, warum kommt da keine Polizei?

Ich kann mir vorstellen, wie vor den Spielen in Peking das internationale Antidopingkomitee unter Leitung von Prof. Dr. M. Pörungsmüller, Bielefeld, eine Liste von 739 Sportlern aus dem 1,3 Milliardenvolk testet. Pünktlich erscheint in der Lobby ein netter Asiate und teilt freundlich mit, man brauche keine Dopingtests, weil es in China kein Doping gebe, nur ein Dorf namens Do Ping, hihihi. Aber natürlich könne man jede Menge Sportlerurin beschaffen, in China werde Sprinterharn seit der 3. Mingdynastie als Medizin verwendet, besonders wenn Fersen- und Ohrwaschl-Meridian über Kreuz kommen, aber das sei im Jahr der Wanderratte nicht zu befürchten, sonst würde es ja gar keine Olympiade geben. Prof. M. Pörungsmüller aber lässt sich nicht abwimmeln. Er besteht darauf, Whang Zeng Hui, Lung Pin Yeh und Wao Ka Drei zu besuchen. Darf er. Er kann so viele Chinesen testen, wie er will. Ob aber auch nur einer von denen dabei ist, die bei den Spielen dann die Medaillen mitnehmen, wer weiß.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!