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Kolumne Einen Versuch legenDu bist Deutschland

Die Öffentlichkeit stellt die Sportler mit hämischer Freude an den Pranger.

Die Olympischen Spiele waren noch jung, da verabschiedete sich eine Goldmedaillenhoffnung aus dem Turnier und wurde nur Neunte. So ist das im Sport. Ein solcher Abgang ist bitter. Niemand trainiert dafür, nach Jahren der Vorbereitung binnen Minuten das Handtuch werfen zu müssen. Für die Olympischen Spiele gibt es eben nichts Vergleichbares. Und während ich damals meine Seele für die Teilnahme verpfändet hätte, betrachte ich das Ganze heute eher skeptisch.

Beim Abstandnehmen hat die Sporthysterie der Deutschen geholfen. Man kennt das ja: "Wir sind Fußballpapst". Doch schlimme Versager sind nur die einzelnen Sportler. "Unser Goldmädchen" wird nie "unsere Pechmarie" sein. Es macht einfach mehr Spaß, auf der Gewinnerseite zu sein. Wenn ich "unser" sage, so muss ich gestehen, mich dabei auszuschließen, mit den Sportlern fühle ich trotzdem. Denn ich weiß, welcher Schmerz hinter ihrer Leistung steht, was sie ausgehalten haben, allein die Qualifikation zu schaffen.

Ein Teil der Deutschen scheint das nicht zu wissen. Es ist dies jene Kategorie von Menschen, die einen fünften Platz mit "enttäuschend" überschreibt. Die fordert, man solle von den 435 teilnehmenden deutschen Sportlern doch einfach 420 nicht antreten lassen, dann könnten sie ihrem Land wenigstens keine Schande machen. Oder die im Falle der geknickten ehemaligen Olympiasiegerin eben noch mal nachtritt, sie Maulheldin, großkotzig und dumm nennt, weil sie die Medaille verschenkte statt einer anderen den Platz zu überlassen. Denn natürlich hätten diese Menschen das alles besser machen können. Darum geben sie wertvolle Tipps: mehr trainieren zum Beispiel oder die olympischen Startplätze das nächste Mal einfach unter Bundesbürgern auslosen. Schreiben davon, sich für die nächsten Spiele fürs Mannschafts-Nasebohren anzumelden.

Diese Leute, so behaupte ich, haben noch nie in ihrem Leben richtig Sport gemacht. Und unter Sport zähle ich nicht "bei der Grillparty den Fußball über den Rasen gebolzt". Sport bedeutet für mich, sich zu bemühen für ein Ziel, das Lieschen Müller nicht mal eben erreicht, und falls nötig, sich auch dafür zu quälen. Diese Menschen wissen nicht, welche Herausforderungen allein hinter einer Olympiaqualifikation lauern. Denn sie könnten bestenfalls Weltmeister im Couchsitzen und Chipsessen werden - oder Olympiasieger im Nachtreten.

Erleichtert feiert man den neuen Star, der das erste Gold für Deutschland geholt hat - endlich, denn sonst könnte man sich ja langsam nicht mehr sehen lassen. Die stolze deutsche Sportnation, wir, die Sprinter und Gewichtheber. Die Agilen und Wendigen, dabei sind über 50 Prozent zu fett. Aber sie wissen dennoch, wie man es besser machen kann. Dass sie nicht in Peking waren, tut nichts zur Sache, sie haben sich eben nicht in ihrer Jugend entschieden, viele Jahre einem Ziel zu verschreiben, welches auf den ersten Blick völlig unerreichbar scheint. Sie haben nicht ihren Körper strapaziert in zahllosen Trainingseinheiten. Trotzdem richten sie über Menschen, die das getan haben. Allein die Fernbedienung in ihrer Hand macht Sportexperten aus ihnen, die nach Belieben urteilen können.

Jahrelang habe ich mir die Wochenenden mit Wettkämpfen um die Ohren gehauen und im Anschluss daran Trainingslager absolviert. Mit meiner kindersarggroßen Sporttasche landete ich im Abibuch auf Platz 3 der "coolsten Schultasche" - oft ging es direkt nach dem Unterricht weiter zum Training. Auf jugendlich stolzgeschwellter Brust trug ich den Bundesadler spazieren. Hätte ich meine Judokarriere nicht kurz nach dem Abitur an den Nagel gehängt, ich stünde vielleicht am Pranger und müsste mir Versagen vorwerfen lassen. Darum muss ich hier sagen: Wenn du so bist, Deutschland, dann habe ich nicht zweimal EM-Gold für dich geholt. Dann geh nach Hause. Ich habe genug, die sich mit mir gefreut haben, ich muss nicht dein Goldmädchen sein. Solange du nur den Mund aufreißt und urteilst, anstatt deinen Hintern vom Sofa hochzunehmen, so lang bleib allein. Und schäm dich nicht für all die Sportler, die deine Erwartungen nicht erfüllen. Geh raus und werde selbst was.

Dann reden wir noch mal.

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5 Kommentare

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  • U
    Ulrike

    Lieber Michael,

     

    wäre ich am Beginn meiner Judokarriere, ich würde es vermutlich nochmal genauso machen. Die Zeit war schön, es hat mir Spaß gemacht so viele Länder zu bereisen und mich mit anderen Nationen auszutauschen. Einige Freundschaften aus der Zeit pflege ich noch immer. Aber ich würde heute nicht mehr mein ganzes Leben dafür hergeben wollen. (Das Magazin jetzt.de hat ein Interview mit mir zu diesem Thema gemacht, zu finden unter http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/444745)

     

    Letztendlich läuft es eben darauf hinaus, dass nicht viel anderes als der Sport selbst möglich ist. Ich musste nach meinem Aussteigen erst einmal ganz viel Menschwerdung in kurzer Zeit nachholen. Ich lebte eben ein bisschen wie in einem Elfenbeinturm. Und das würde ich in diesem Teil meines Lebens nicht mehr wollen.

     

    Peinlichkeiten mit Funktionären blieben mir erspart, soweit ich mich erinnern kann.

     

    Beste Grüße, Ulrike Köhler

  • MS
    Michael Schmidt

    Liebe Ulrike,

     

    mittlerweile dick bin ich immer noch der Meinung, man sollte seinen Sport in erster Linie für sich selbst machen. Ich kam zwar nie in die Verlegenheit - doch stelle ich mir sogar nach einem "Sieg" viele Gratulanten, insbesondere Sportfunktionäre, peinlich vor.

     

    Von daher meine Frage: Würdest Du wieder an einer EM oder einem größeren Wettbewerb teilnehmen wollen?

     

    Grüsse,

    Michael

  • EM
    einem Musiker

    demnach geht es den Sportlern also wie den Musikern:

    "Was haben Kritiker und Eunuchen gemeinsam? Sie wissen zwar wie es (besser) geht, koennen es selbst aber nicht."

  • A
    Alex

    Sehr passender Kommentar zu dieser ganzen "WIR sind Fußballweltmeister"

  • DB
    Du Bist was Du bist

    Du bist Deutschland war der Spruch einer Kampagne, die von 25 Medienunternehmen ins Leben gerufen und von Bertelsmann koordiniert wurde. Diese Kampagne hatte versteckt die Interessen von Arbeitgebern zum Inhalt und war recht unscharf aufgrund großer Camouflage.

    Und das weiß auch die taz, denn die tageszeitung sprach davon, dass mittels einer „neoliberalen Wundertüte“ die „von Depressionen und Zukunftsängsten geschüttelten Deutschen wieder auf gute Laune getrimmt werden“ würden, während die Verantwortung von Staat und Wirtschaft für das „Schicksal des Landes“ dabei auf den Einzelnen abgeschoben werde. Und es war ja die Zeit der Hartz-Gesetze: Armut für alle - also ein anderer Titel wäre besser.