Kolumne Eben: Endlich wieder Opfer
Die Deutschen sind erschüttert. Wegen dem, was in Köln passiert ist. Aber vor allem, weil sie sich selbst als Opfer fühlen.
N achrichten lesen ist gefährlich. Montags morgens allemal. Man erfährt, dass David Bowie gestorben ist und der Tag ist ruiniert. Viele Ersterfahrer kommentierten diese Nachricht auf Facebook und Twitter mit „Bowie? Wirklich?“ und „Das ist nicht wahr, oder?“
Frage mich, warum diese Sätze nicht so oft geschrieben wurden als es um Nachrichten aus Köln ging. Mindestens 80 Prozent dessen, was da als Nachricht in die Welt gepustet wurde, stellte sich als falsch oder halbwahr heraus.
Wer bis hierhin gelesen hat und jetzt schon weiß, dass hier nun nur noch das übliche linksliberale Verharmlosungsgerede folgt, an dem der moralische Niedergang des Schweigekartells sichtbar wird, weil es die Willkommenskultur wichtiger findet als ein Vergewaltigungsopfer, kann ja schon mal die Standardkommentartaste drücken.
Dann kann sich der Leser zwischen „Sie relativieren sexuelle Übergriffe“ oder „500 sexuelle Übergriffe sind ein schönes Gastgeschenk“ entscheiden und ansonsten weiter die seriösen Statements von Heiko Maas lesen.
Der Justizminister ist nicht nur der Einzige, der von einer bundesweit koordinierten Aktion spricht, sondern hat auch die Ereignisse von Köln als „Zivilistationsbruch“ benannt, einer Kategorie, die in diesem Land ansonsten fast ausschließlich für die Shoah reserviert ist. Und im pseudo-adornitischen Duktus erklärt: Es müsse alles getan werden, dass sich Köln nie wiederhole.
Wir dürfen sehr gespannt sein, wie dieses Tun aussehen wird. Nach bisherigem Stand jedenfalls scheint Heiko Maas eher an Loswerden und Dämonisierung als an Aufklärung zu denken.
Dass die in vielem falsch handelnde Kölner Polizei Recht behalten sollte, dass hier allein der Verdacht, es könnten Flüchtlinge beteiligt gewesen sein, zur Massenhysterie gegen sie wird, hat natürlich nicht nur der Justizminister hinreichend bewiesen.
Der Mob
Die Deutschen selbst haben mal wieder unter Beweis gestellt, dass sie jede Gelegenheit nutzen, um sich als Opfer zu fühlen. Erst waren sie Opfer der Juden, dann Opfer der Nazis. Nun sind sie Opfer der Flüchtlinge: „Der Mob hat uns alle missbraucht“! Übertreibung einer Linksversüfften, die die Wahrheit vertuschen will? Nein. Der Satz ist die Überschrift eines Textes aus der Zeitung Die Welt, in dem behauptet wird, dass sich der feixende Mob „am guten Willen“ der toleranten Deutschen „vergriffen“ hat.
Von mir aus ist es linksversüfft, hält man nicht alle Maghrebiner für Kiffer und Vergewaltiger, nur weil Leute aus der gleichen Gegend es sind. Von mir aus ist es linksversüfft, wenn man denkt, dass mancher Araber mehr Probleme mit Frauen und Alkohol hat als andere, deswegen aber nicht denkt, dass alle Muslime Probleme mit Frauen und Alkohol haben.
Von mir aus ist es linksversüfft, wenn ich weiterhin daran glaube, dass es normal ist, dass nicht jeder Flüchtling Arzt und braver Schwiegersohn wird, sondern mancher Flüchtling sich betrinken und einen Riesenscheiß bauen wird. Und dass es unter einer Millionen Flüchtlingen Rassisten, Vergewaltiger und Rackets gibt wie unter Deutschen Rassisten, Vergewaltiger und Rackets.
Die Besonderheit des Kölner Gewaltexzesses herauszuarbeiten, daran sollte dieser Glauben freilich nichts ändern. Dem deutschen Mob ist das egal. Dem ist Differenzierung fremd und er schickt sich nun an, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Nicht der Flüchtling nutzt die Deutschen aus. Der rechte Mob ist es, der die Stimmung in Deutschland ausnutzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene