Kolumne EM: Alternative Logenplätze
Die Eurokolumne (IX), diesmal aus Zürich. Wo einst mit Heroin gedealt wurde, werden nun EM-Fernsehplätze für 1.000 Franken gehandelt - zumindest wird es versucht.
Kein Tag ohne Lästern über den europäischen Fußballverband. Die Uefa, das ist schließlich der Terror des ökonomistischen Mainstreams, der selbst dem Mainstream als Feindbild dient. Die verordnete Biersorte in den Fanzonen, das Verbot in den Stadien, andere Marken als jene der Sponsoren auf dem Fantrikot zu tragen, die Abgaben auf jeden Kneipenfernseher: Die Uefa tut wirklich alles, um auf sich aufmerksam zu machen. So richtig erstaunen können diese Disziplinarmaßnahmen aber auch nur große Idealisten. Die Uefa? Geschenkt.
Denn die Uefa-Fixierung führt dazu, dass die vielen andern Verdienenden aus dem Fokus geraten. Denn auch an der Peripherie, von den größten Geldströmen aus gesehen, ereignen sich Praktiken, die so peripher längst nicht mehr sind. So bleibt unklar, warum man die eigens für die Turniere aufgezogenen Fußballbars stets "alternative Fußballbars" genannt hat, außer dass meistens ein paar Szenegrafiker mit von der Partie sind. Seit zwei, drei Turnieren gibt es immer mehr davon. Und sie werden immer größer.
Während der letzten WM passierte mir in der schönsten alternativen Bar prompt Folgendes: Ich kam vom Sport und trank an der Festbank aus meiner halb leeren PET-Flasche, die mir der Kellner - bestellen dann bitte an der Bar - halb voll vor der Nase wegschnappte. Ich begann darüber nachzudenken, warum man Veranstaltern mit einem Publikum von dreihundert Leuten für die Fernsehrechte nichts abknöpfen dürfen soll. So als Weltfußballverband. Zum ersten Mal im Leben erschien mir Sepp Blatter wenn nicht sympathisch, dann bemitleidenswert. Immer alle gegen Sepp. Außer einige Afrikaner, die ihn aus freien Stücken zum Präsidenten gewählt und dann aus freien Stücken die WM gekriegt haben.
Es soll jetzt nicht darum gehen, dass alternative Bars nichts verdienen dürfen. Aber vielleicht sollte man während der EM in einer Stadt wie Zürich ein Alternativmoratorium ausrufen. Denn diese Bars liefern sich mittlerweile einen Konkurrenzkampf, den man nur als Bewerbungsprojekt für Google verstehen kann, deren europäische Zentrale in Zürich eröffnet wurde. Weit vorn im alternativen Luxussegment liegt das Flussbad am Oberen Letten, das beispielhaft für den Aufstieg des fünften Stadtkreises gilt.
Mitte der Neunzigerjahre floss das Kapital dort noch freier, aber das lag an den täglich 3.000 (dreitausend) Süchtigen, die am Letten Geld gegen Heroin tauschten. Heute tummeln sich dort Trendkörper und Beachvolleyballer, im ersten Stock des Restaurants wird das Essen sogar serviert. Und seit der letzten WM stehen auf der anderen Seite der Limmat Monsterbildschirme, deren Miete und Transport samt Sony-Techniker aus Tokio auf eine halbe Million Schweizer Franken geschätzt wird. Deshalb hat man sich für die EM noch einen Zusatzquelle ausgedacht: Logen. Nicht für das Stadion. Nein, für einen Bildschirm im Trendquartier. Tausend Franken das Stück hätten gereicht für freie Sicht aufs Körpermeer.
Indes: Nach zehn Tagen soll genau eine Buchung eingegangen sein, das Logenprojekt musste abgesagt werden. Der Unterschied vom gentrifizierten Kreis 5 am Letten und dem Bankenviertel besteht also doch noch. Es ist vielleicht nur noch einer der Sichtbarkeit und der Skrupel: Reichtum, klar - aber zu sehr zur Schau stellen geht noch nicht. Derweil hat die Neue Zürcher Zeitung, deren Redaktion hinter dem Opernhaus in der Fanmeile liegt, mit ihren Logen ähnliche Sorgen. Für die meisten Spiele finden sich zu wenig Kunden. Gemeint sind die eher unattraktiven Spiele. Nein, wir sagen nicht welche. Sonst beschweren sich die Polen wieder. TOBI MÜLLER
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