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Kolumne Die schon wiederTheater der Diskurssimulation

Der Stuttgarter Philosoph Sebastian Ostritsch ist geübt darin, Kritik an seinem fundamentalistischen Katholizismus als „Cancel Culture“ zu framen. Nun wurde er von einem Vortrag ausgeladen, und die „Süddeutsche Zeitung“ springt ihm willfährig zur Seite. Da hilft nur noch Beten, meint unsere Kolumnistin.

Kruzifix und Hegel als Helfershelfer der Gegenaufklärung. Foto: Joachim E. Röttgers

Von Elena Wolf

Vor ein paar Jahren hätte ich den Autor des Textes, um den es in dieser Kolumne gehen wird, noch als „nützlichen Idioten“ bezeichnet. Als Naivling, der sich nicht bewusst darüber ist, dass er für – in diesem Fall – rechte Propagandazwecke missbraucht wird. Kann ja den Besten mal passieren in Zeiten von multiplen Krisen, Fake News, Midlife Crisis und mehrschichtigen, tatsächlich oft geistig schwer durchsteigbaren Gegenwartsdiskursen, in denen sich alle nach Heilung und Kontrolle – wenigstens über die eigenen Gedankenwelt – sehnen. Als die AfD im Jahr 2013 in Deutschland anfing, Wurzeln zu schlagen und noch ein bisschen Wert darauf legte, bloß als „eurokritische“ Partei wahrgenommen zu werden, gab es einige davon: Menschen, die sich über einen liberalen Konservatismus und Wirtschaftsfetisch haben instrumentalisieren lassen, um eine Partei zu unterstützen, die sich später als rechtsextrem outen sollte und mittlerweile Deutsche abschieben will, die ihr nicht Deutsch genug sind. Hupsi Daisies. Passiert. Selbst, wenn es sie jemals gab: Die Zeit der „nützlichen Idioten“ ist lange vorbei.

Wer heute Rechtsautoritäre und ihre Trabanten wählt, weiß genau, was er oder sie tut. AfD und CDU/CSU werden nicht trotz ihrer arbeiter-, armen-, ausländer-, frauen- und queerfeindlichen Politik gewählt. Sondern wegen. Genauso sollten die Zeiten – eigentlich schon seit der Französischen Revolution – vorbei sein, in denen Schreiberlinge rechtsautoritären Fundamentalisten helfen, ihre klerikalfaschistoiden Fieberträume zu normalisieren. Genau das hat Gustav Seibt in der „Süddeutschen Zeitung“ Ende November mit seinem Text „Wenn der Gast die falsche Meinung hat“ gemacht.

Ein Frauen- und Homofeind und dazu noch Katholik

Anlass war die Einladung von Sebastian Ostritsch zu einem Vortrag an der Jesuiten-Hochschule für Philosophie in München. Und dessen Ausladung, nachdem Studierende dagegen protestierten. Heraus kam ein verschriftlichter Totalschaden, der als Fallstudie dafür taugt, wie bürgerliche Medien rechte Kulturkämpfe um Hegemonie unterstützen, indem sie sie zu harmlosen, gar wissenschaftlichen Debatten umdeuten, die von – wie soll‘s auch anders sein – linksgrün-versifften Studierenden, die „Freude an Krawall und Machtausübung haben“, in einem „Theater der Diskursverweigerung“ torpediert werden.

Und Seibt muss Bescheid wissen. Denn er hat einen Doktor in Geschichte. Laut seiner Expertise läuft der Cancel-Hase daher immer so: „Eine Künstlerin, ein Intellektueller, ein Wissenschaftler wird zu einem Auftritt eingeladen und sagt zu. Dann werden Aktivisten, ein Blog oder die Boulevardpresse aufmerksam, finden Unliebsames und schlagen Alarm.“ In diesem Fall geht es um den Stuttgarter Philosophen Sebastian Ostritsch, über den ich bereits im Jahr 2022 ausführlich in Kontext geschrieben habe. In Seibts Welt also um einen „Intellektuellen“ und „Wissenschaftler“. Ein Mann, der sich, wie einige Männer, die die Welt nicht mehr verstehen, gerne damit schmückt, früher angeblich mal „knalllinks“ gewesen zu sein. Dann wurde er auf den rechten Weg gebracht, hatte ein Erweckungserlebnis, bei dem er realisierte, dass „dem HI-Virus Einhalt geboten gewesen wäre, wenn sich die Betroffenen […] einfach an die katholische Sexuallehre, die Keuschheit und Enthaltsamkeit vor der Ehe vorschreibt, gehalten hätten“ und wurde zum katholischen Hardliner samt politischem Sendungsbewusstsein, mit allem, was dazugehört: zum Beispiel seinen Titel als promovierter Geisteswissenschaftler missbrauchen, um frauen- und homofeindlichen Bullshit im schicken Anzug und mit Michel-Foucault-Gedenkbrille in rechten Schwurbelformaten als schlaue Gedanken auszugeben. Denn Ostritsch hat ja auch schlaue Bücher über Hegel geschrieben und jüngst ein Buch veröffentlicht, in dem er die Existenz seines unsichtbaren Freundes in den Wolken für beweisbar hält.

„Gottesrechte“ statt Menschenrechte

Nicht dafür wollten ihn die Studierenden in München jüngst „canceln“, sondern zum Beispiel dafür, dass Ostritsch Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, für Sünderinnen hält, die sich schuldig machen; oder dafür, dass er historische Weltanschauungen verteidigt, die „Gottesrechte“ statt Menschenrechte propagieren und die Französische Revolution zugunsten der Herrschaft von Klerus und Monarchie beendet sehen wollten; oder dafür, dass er den synodalen Weg der katholischen Kirche zur Reform einer missbrauchsfördernden Kirchenkultur für eine „Farce“ hält. Alles seit Jahren in Ostritschs austretendem Hirnwasser auf diversen gegenaufklärerischen Plattformen wie „Corrigenda“, der „Tagespost“, dem „Vatican-Magazin“ oder seinem Profil auf X nachzuvollziehen. Ist aber alles egal. Denn Seibt und die „Süddeutsche“ sind Fans vom „talentierten Autor“, der „wild tätowiert“, „klar argumentierend“ und eben halt zufällig auch Katholik ist. Und zwar einer „der strengen Observanz“, wie Seibt schreibt, als handele es sich dabei um einen besonders reifen Käse. Ein ganz normaler, bürgerlicher Medien-Intellektueller eben, der einfach nur rein vernünftig und wissenschaftlich mit der Geschäftsführerin der von Beatrix von Storch (AfD) mitgegründeten homophoben „Demo für alle“ sagt, dass eine Katze mit drei Beinen auch nicht normal sei. Easy.

So ist das eben aktuell: Hier wollen Rechtsautoritäre wieder ein ausländerfreies Deutschland, in den USA wollen Tech-Milliardäre und Palantir-Mitbegründer wie Joe Lonsdale wieder öffentliche Hinrichtungen – und in der „Süddeutschen“ will man eben einem Sebastian Ostritsch helfen. Intellektuell und vernünftig versteht sich. Aus purer Liebe zur Scholastik und dem „ganz normalen Menschenverstand“. Ostritsch hat ja einen Doktor und ist nach Seibt „derzeit die beste Adresse“, um ins Hegel-Game einzusteigen. Kann ja sein. Chapeau. Aber: Wenn Ostritsch es mal wieder als „streibarer Intellektueller“ in die „Süddeutsche“ oder jüngst auch in die „NZZ“ geschafft hat („selbstverständlich habe ich zum heiligen Thomas gebetet, Fürsprache zu halten, dass das Buch ein Erfolg wird“), dann nicht trotz seiner Passion für die Rückabwicklung der Moderne, sondern wegen.

Nee, hier geht es nicht um Toleranz

Dort findet man es offenbar gut, was Ostritsch predigt und versucht daher, den eigentlichen Streitpunkt in pseudo-differenzierten Quatschtexten und Edge-Lord-LARP zu verwischen. Nichts ist „streitbar“ an der Re-Installation einer Ordnung, in der Frauenkörper patriarchale Verfügungsmasse sind und Queers Existenzrechte begründen müssen. Es sei denn, man möchte eben die Uhr wieder vor die Zeit der Französischen Revolution drehen. Da sich das aber nicht so schlau anhört wie „strenge Observanz“, und Adjektive wie „klerikalfaschistisch“ den geneigten „Süddeutsche“-Leser:innen vor den Kopf stoßen könnten, ist der „Süddeutschen“ und der „NZZ“ daran gelegen, all die religiös-verblödete, reaktionäre Scheiße, die Ostritsch für Vernunftdenken ausgibt, als fruchtbares Diskursmaterial eines leicht spleenigen Nerds zu verkaufen, der seine Freizeit eben gerne mit Weihrauchschnüffeln verbringt. Wie jemand, der seine Chicken McNuggets eben lieber in Senf als Ketchup tunkt. „Etiketten wie ‚fundamentalistisch‘ oder ‚rechtskatholisch‘“ seien laut Seibt zu Unrecht „weit verbreitet“. Mein Gott. Dass Ostritsch genau das ist, will er nicht sehen. Weil, ist ja unangenehm, einzusehen, dass man unterstützt, was man vorgibt, abzulehnen.

Steh‘ doch dazu, Gustav Seibt! Steh doch dazu und sag‘ laut: Ich bin ein schwuler Mann, der einen rechtskatholischen Gegenaufklärer unterstützt, der Frauenkörper beherrschen will. Sag‘s doch einfach. Aber mach‘ doch nicht so einen pseudo-intellektuellen Aufriss aus dem durchsichtigen Versuch, einen rechtsautoritären Kirchenschwurbler zu normalisieren. Das wäre ein ehrlicher „Diskurs“: Ich verteidige ihn und ihr könnt‘ mich mal alle am Arsch lecken. Aber dessen Kulturkampf als exzentrisches Hobby zu verklären und Kritik an ihm breitenwirksam als „Theater der Diskursverweigerung“ zu stilisieren, ist peinlich und rückgratlos. Gilt übrigens auch für Ostritsch, der erst im Sommer einen Text für die christlich-fundamentalistischen Schwurbelseite „Corrigenda“ über das „Toleranzparadoxon“ von Karl Popper geschrieben hat, demnach Toleranz für Intoleranz die eigene Toleranz abschafft. Neben dem Text eine Illustration, aus der hervorgehen soll, wie „Andersdenkende“, wie er selbst als frommer Christ, „im Namen der Toleranz“ angegriffen werden. Und an dieser Stelle hilft wahrscheinlich wirklich nur Beten. Denn mit Ratio hat es nun wirklich gar nichts mehr zu tun, wenn ein erleuchteter Ultra-Fan des größten Schwurbelclubs der Welt, der Menschen seit 2000 Jahren seine frauen- und queerfeindliche Moral aufzwingt, Toleranz von denen einfordert, die er täglich im Namen ihres Gottes angreift. Für Seibt ist Diskursverweigerung mit christlichen Fundamentalisten „bedrückend fruchtlos“. Dabei ist Diskursverweigerung mit christlichen Fundamentalisten schlichtweg dasselbe, wie einen großen Schritt über einen Haufen Scheiße auf dem Gehweg zu machen. Kann man natürlich jetzt auch drüber diskutieren, ob das fruchtvoll ist oder nicht. Aber bitte nicht an einer Hochschule, sondern im Beichtstuhl.

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