Kolumne Die eine Frage: Im Widerstand mit 76
Vergeuden Sie Ihre Restlebenszeit in Sitzungen, Klaus Staeck? Ein Besuch in der Berliner Akademie der Künste.
E r überlege immer öfter, ob er seine Restlebenszeit wirklich in Sitzungen verbringen wolle, sagte Klaus Staeck unlängst in einer Diskussion. Wo es doch als Künstler so viel anderes zu tun gäbe. Das ist ja mal wirklich eine große Frage, dachte ich. Also nichts wie hin zu ihm.
Staeck ist der bekannteste Plakatkünstler der letzten fünfzig Jahre. Einer der wenigen, die Kunst und Politik stets zusammengebracht haben. Ein Einmischer. Immer im Einsatz gegen das Böse und für die SPD. Entsprechend gepriesen und von anderen verhöhnt. Als Präsident der Akademie der Künste hat er den besten Büroblick von Berlin. Direkt auf Pariser Platz, Brandenburger Tor und Starbucks. Am 28. Februar wird er 76.
Was ist nun, Herr Staeck, vergeuden Sie Ihre Zeit?
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Na ja, sagt er und erzählt, wie er sich in Sitzungen mit dem Widerstand gegen Lichtausschalten in leeren Räumen auseinandersetzen muss. In anderthalb Jahren sei Schluss, und dann werde er in seiner Abschiedsrede klären, wie viele von den dann neun Jahren für seine eigene Kunst umsonst gewesen seien. Dann sagt er sich aber auch, dass Fortschritt in der Demokratie ein mühsamer Prozess ist und man im Sinne des Gemeinschaftlichen eben doch an den berühmten Stellschrauben zu drehen habe. Und selbstverständlich weiß er auch, dass es in Berlin Unmengen von ehemals wichtigen Männern gibt, die sich danach verzehren, noch mal eine Sitzung zu leiten. Scheißegal, worum es geht.
Er ist 1956 vor dem Sozialismus geflohen und denkt, dass zu viele in dieser Republik unsere Demokratie für selbstverständlich halten. Er nicht, er sieht sie „zerbröseln“. Erst flohen die Wähler vor seiner SPD, zuletzt auch vor den Grünen (nicht, dass er da Mitleid hätte) und dann distanzierten sich auch noch Intellektuelle und Künstler von der parlamentarischen Demokratie. Die neuen akademischen Nichtwähler irritieren und besorgen ihn.
Es gibt gute Gründe, an der Möglichkeit eines „Politikwechsels“ durch die SPD zu zweifeln, wofür Staeck auch vor der letzten Bundestagswahl unverdrossen warb. Aber es gibt eben auch Rebellions-Poser, die sich angesichts des Endes der Parteienunterscheidung in Gut und Böse nun in All-Parteien-Verachtung flüchten. Und dann ist richtige Politik auch noch so mühselig.
In seinem Büro steht ein Sideboard des Schriftstellers Gottfried Benn, der vier Wochen nach Hitlers Vereidigung als Reichskanzler zum Nazi wurde und die Preußische Akademie der Künste auf Linie brachte. (Benn entnazifizierte sich Ende 1934). Und er hat eine Postkarte herumliegen, die seine Mutter 1934 an seinen Vater schickte. Auf der Vorderseite marschieren Nazis durch das Brandenburger Tor. „Meine Mutter war eine wunderbare, couragierte deutsche Frau“, sagt er und zeigt auf die Nazis, „und hat sich nichts dabei gedacht.“ Worauf er hinauswill: „Wo ist das Widerstandspotenzial, wenn es mal ernst wird?“ Das sei es, was ihn beschäftige. Seine Eltern seien keine Nazis gewesen, aber eben auch keine Gegner. Er sagt, ich solle mal für mein Umfeld überlegen, was wäre, wenn: „Wer wird die Fronten wechseln, wer wird eine Weile brauchen und sich arrangieren, wer wird dauerhaft Widerstand leisten?“ Da werde man staunen, wer wirklich übrig bleibe. Unter uns: Machen Sie das lieber nicht. Man kann es sich mit vielen Freunden verderben – und vor allem auch mit sich selbst.
Ein Gespräch mit Klaus Staeck ist ein Galopp durch die deutsche Geschichte der letzten hundert Jahre. Hitler und Holocaust, 1968 und der Irrsinn der RAF. Willy Brandt und der Glaube, dass alles auch anders sein könnte. Aber da ist auch erstaunlich viel Gegenwart. Amazon, Piraten, Schulen, Shitstorms, Energiewende. Ähs und Denkpausen braucht Staeck nicht. Allenfalls muss er aufpassen, dass die Gedanken und Bonmots sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen.
Er publiziert treu in der Rundschau. Andererseits, sagt er, „zucke ich zusammen, wenn ich als Linker bezeichnet werde.“ Er sei der Aufklärung verpflichtet, wenn das links sei, bitte.
Er ist „einer der letzten Bild-Gegner“. Einer, der das Blatt nur liest, wenn er es im Zug herumliegen sieht. Er hat schon 1989 zum Austritt aus dem ADAC aufgerufen. Und weiß nicht genau, ob das seine Gegenwärtigkeit beweist oder ein Grund zum Verzweifeln ist, weil sich eben doch nichts Entscheidendes ändert.
Die Frage ist also grundsätzlich: Hat er seine Zeit vergeudet?
Er seufzt. Es klingt aber gar nicht unglücklich.
„Ich habe keine Begabung zur Bestechlichkeit und keine zum Opportunismus, ich sage Ihnen, das ist eine hartes Schicksal.“
Und nun muss er in eine Sitzung.
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