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Kolumne Die Lage am LagoSchöne Illusionen

Public-Viewing auf der Hochalm. Das muss es doch irgendwo geben in der Schweiz, oder?

Bild: taz

ANDREAS RÜTTENAUER ist Sportredakteur der taz und belagert mit vielen Kollegen der Zunft das deutsche Trainingslager.

Der Kollege ist enttäuscht. So sicher war er sich, dass seine Idee einmalig war. Er hatte beim Fremdenverkehrsamt des Tessin nachgefragt, ob es möglich sei, ganz einsam, auf einer Hütte hoch über dem Lago auf einem dieser mächtigen Berge ein Fußballspiel anzusehen. Wir witzeln.

Der hat für diesen Ausflug ins Gebirge doch sicher eine rot-weiß karierte Hochlanduniform im Gepäck. So stellt der sich also die Schweiz vor, machen wir uns lustig: Kräuterzuckerlutschen beim Ein-Mann-Public-Viewing auf der Hochalm. Die Damen vom Fremdenverkehrsamt fanden das Anliegen unseres Kollegen, so berichtet dieser, gar nicht lustig. Wir sind zwar Schweizer, hätten die gesagt, aber italienische Schweizer, wir suchen nicht die Einsamkeit, bei uns muss immer etwas los sein.

Als wir Tags darauf, die Russen spielen gerade gegen die Niederlande, die einzigen Gäste eines riesigen Lokals mit Riesenleinwand sind, fragen wir uns, ob die Damen von Ticino Turismo wirklich recht haben. Wir rufen den Kollegen, der den Hüttenwunsch geäußert hatte an, und fragen ihn, ob er immer noch auf der Suche nach der großen Einsamkeit ist. In diesem Falle sei er in der Bar im Zentrum von Locarno, in der wir gerade sitzen, genau richtig. Als er kommt, schüttelt er den Kopf. Da sieht man einmal wieder, dass die Schweizer vom Fußball überhaupt keine Ahnung haben, sagt er und wirkt in seinem rot-weiß karierten Hemd doch arg deplatziert in der eher schicken Bar.

Ja, ja, die Schweiz. Wir reden über das Land, das uns nun schon seit mehr als zwei Wochen beherbergt, so lange, dass wir glauben, es zu kennen. Auf jeden Fall sind wir uns sicher, dass Italien besser ist. Wenn man über die nahe Grenze fährt, dann reden die Menschen gleich lauter, da gibt es Trattorien, in denen alte zahnarme italienische Mütterlein so gut kochen, dass sich mancher Kollege ein kleines Ränzlein zugelegt hat. Herrlich finden wir das. Doch schnell kommt die Rede auf das typisch italienische Chaos, darauf, dass nichts klappt, dass niemand pünktlich ist, dass man sich auf viele Menschen nicht verlassen kann und diese außerdem zu laut sind. Die Schweiz passt besser zu uns Deutschen, finden wir und sind ganz froh, dass wir in Ruhe Fußball schauen können.

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