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Kolumne Die Farbe LilaSo hatte ich mir den Westen vorgestellt

Kolumne
von Susanne Klingner

Es war toll, bei "Germanys next Topmodel" das Böse in mir herauszulassen. Doch das geht dieses Mal nicht mehr.

Germany's Next Topmodel" war in den letzten Jahren mein guilty pleasure - aus feministischer Sicht in keiner Weise zu rechtfertigen, aber trotzdem ein großer Spaß. An jedem Donnerstagabend bekam für ein paar Stunden der Mensch in mir Auslauf, der andere einfach "sauhässlich" oder "strunzdumm" finden durfte oder "Was für eine blöde Kuh!" in Richtung Fernseher rief. Feministin hin oder her.

Doch in diesem Jahr habe ich erst eine Folge geschaut, vergangene Woche, dann schaltete ich ab und beschloss, mir ein anderes unfeministisches Vergnügen zu suchen. Die Dauerbefeuerung der Kandidatinnen mit neoliberalen Kapitalismusweisheiten hat mir das Einschalten vermiest. Das ständige "Ihr müsst alles geben!" von den Juroren und die ergebenen, gleichlautenden Antworten der Kandidatinnen: "Ich hab' mein Bestes gegeben, das war am wichtigsten." "Germany's Next Topmodel" ist zu einem Bühnenstück der Arbeitswelt geworden, die junge Menschen heute vorfinden und trotzdem lieben sollen.

So kriegen die Mädchen bei jedem Casting, das heißt auf Jobsuche, eingebläut: "Es ist eine Riesenehre, sich hier vorstellen zu dürfen." Jaja, wir müssen alle wahnsinnig dankbar sein, wenn wir uns für irgendeinen Großkonzern abrackern dürfen. Es ist schon lange nicht mehr so, dass das ganze Ding "Arbeitsverhältnis" auf Gegenseitigkeit beruhte: dass der Arbeitgeber froh ist, ambitionierte und kreative Menschen in seinem Team zu haben, und der Angestellte umgekehrt froh ist, für ein Unternehmen zu arbeiten, dass den Lebensunterhalt finanziert und halbwegs menschlich ist. Nein, heute muss jede und jeder dankbar sein, sich für irgendwen den Buckel krumm machen zu dürfen. Systemkritik war gestern.

Bild: stephanie füssenich

Susanne Klingner ist Mitautorin des Buches "Wir Alphamädchen" und bloggt auf mädchenmannschaft.net.

Bei "GNTM" kommt noch hinzu, dass die Ladys wirklich alles machen müssen, wenn sie nicht rausfliegen wollen: Sei es, sechzehnjährig mit Typen in Badehose rumzumachen, ekliges Getier zur Schau zu tragen oder bei Minusgraden in Sandalettchen herumzulaufen, als ob nichts wäre. Du lernst: Mach mit, oder du bist ganz schnell raus aus dem Spiel um beruflichen Erfolg. So hatte ich mir als - propagandainfiltriertes - Ostkind immer den Westen vorgestellt: Die in der BRD müssen machen, was ihr Chef will, oder werden gefeuert, obdachlos und traurig. Steckt also vielleicht der Deutsche Arbeitgeber-Verband hinter Heidis Sendung oder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft?

Vielleicht haben die sich vor ein paar Jahren gesagt: Margarine, Autos und Billigflüge werden mit knackigen, jungen Frauen beworben. Jungs, das können wir auch, und zwar besser! Da machen wir was im Fernsehen. Für junge Frauen, die eh die besseren Schulabschlüsse machen. Die wollen wir haben! Die müssen wir vom Leistungsgedanken überzeugen, jedes Jahr ein kleines bisschen offensiver. Und wisst ihr, was, haha, denen bringen wir dann bei, dass sie auch noch Danke sagen müssen, Küsschen links und rechts, wenn sie rausfliegen. Wir müssen halt Stellen abbauen, jede Woche.

So ist es nun mal, das Leben.

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2 Kommentare

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  • T
    Thomas

    Ein treffender und schöner Beitrag von Fr. Klingner, der auch die heutige Dimension des Verhältnisses von Arbeitgebern und Arbeitnehmern reflektiert.

     

    Ich denke, es wird sich erst etwas grundsätzlich ändern, wenn nicht nur viele Betroffene der gesellschaftlichen Mitte, die die Nase von den heutigen Arbeitsstrukturen gestrichen voll haben und nur noch auf die Rente zuarbeiten, sondern der erste Vorstandvorsitzende auf einer Hauptversammlung medienwirksam den Aktionären die Klamotten vor die Füße wirft mit der Begründung, sich nicht für Börsenspekulanten die Gesundheit zu ruinieren und weiter eine empathielose Lebenshülse zu leben und seine Identität aus einer Zahl auf einem Kontoauszug bezieht und den Betrag wahrscheinlich nicht einmal selbst ausgeben kann.

     

    "Es ist leichter, Menschen Ketten anzulegen statt sie ihnen abzunehmen, wenn sie Ansehen verleihen" (Shaw).

     

    Patriarchale Systeme sind frauenfeindlich - und ebenso männerfeindlich und zerstören sich früher oder später selbst. Die Wirtschaftskrise hat es gezeigt, und es war nicht die letzte.

  • SN
    sara nuru

    Ihren Kommentar hier eingeben: guter artikel, vielleicht ist der westen ohne den aufs gewissen drückenden gegenspieler osten und mit weltweiten standortalternativen für arbeitgeber ja nicht mehr das wahre und entwickelt sich echt in richtung dessen, was im osten überzeichnet eingetrichtert wurde.