Kolumne Die Farbe Lila: Nippelfreie Zone
Feministische BH-Verbrennungen hat es nie gegeben – sie sind ein Mythos. Doch langsam ist es an der Zeit, dass er Realität wird.
I n den letzten Tagen wurde es immer unvorstellbarer, das Wochenende ohne Besuch am See überleben zu können. Ich brauchte dringend einen neuen Bikini, mein alter ist zehn Jahre alt. Also versuchte ich, einen zu kaufen. Bei dem Versuch blieb es allerdings. Dabei habe ich keinen ausgefallenen Geschmack und auch keine überzogenen Preisvorstellungen. Ich habe nur nicht den Wunsch, meinem Busen eine Rundumabdichtung zu verpassen - gepolstert und abgeschirmt gegen Gefahren jeder Art, die am See auf mich warten.
Aber das Designvorhaben der Bekleidungsindustrie scheint zu sein: meine Brüste zu beschützen. Warum sonst gibt es nur noch dick gepolsterte Bikinioberteile? Oder Büstenhalter. Auch hier das gleiche Bild, zum Beispiel im Prospekt, der mir aus der Zeitung entgegenflattert. Vermutlich wurden durch den frustrierenden Shoppingversuch meine Sensoren geschärft, normalerweise schmeiße ich Prospekte einfach ungesehen weg. Aber diesmal starren wir uns gegenseitig an: die gepolsterten Brüste mich und ich sie. Stramm stehen sie da, durch die unveränderliche Form der Schalen, wie eine Armee. Und neben den Dekolletés der Models steht die Erklärung für die Erfindung gepolsterter Unterwäsche: Es geht nicht um Schutz, sondern darum, etwas "unsichtbar" zu machen. Wer sich die Worte "T-Shirt-BH" und "Pulli-BH" ausgedacht hat, sollte mit ebensolchen geknebelt werden, der Erfinder von "unsichtbar" für seine Doofheit gleich mit. Ein unsichtbarer BH wäre: kein BH.
Deswegen kann diese Erfindung nur heißen: Irgendjemand hat ein Problem mit Brüsten, wie die Natur sie wachsen lässt. Weibliche Nippel sollen unsichtbar werden. Und in wattierte Förmchen eingepackt, wird die weibliche Brust normiert. Kleine, große, spitze, hängende, runde, schiefe, lustige oder flache Brüste sieht man immer weniger. Mit Pulli- und T-Shirt-BH sieht jede Brust, die einem auf der Straße entgegenkommt, gleich aus: fest, rund und mittelgroß. So wird Frauen eingeredet, das, was sie schon haben, sei nicht ganz so super wie das, was sie haben können. Und ihnen wird auch eingeredet, auf keinen Fall dürfe man unter dem T-Shirt oder Pulli "etwas" sehen. Ein Pulli-BH muss her, denn egal ob normaler BH oder kein BH, solange keine Watteschicht eingebaut ist und auch nur ein kleiner Wind weht, sieht man bei Brüsten Nippel. Bei Frauen wie bei Männern.
Susanne Klingner ist Mitautorin des Buches "Wir Alphamädchen" und bloggt auf mädchenmannschaft.net.
Die Skandalisierung von Nippeln will nur so gar nicht in unsere Umwelt passen, in der einem alle paar Meter von einer Werbeanzeige eine weibliche Brust entgegenspringt. "Brustwarzen scheinen nur okay zu sein, wenn mit ihnen etwas verkauft werden kann", sage ich zu meiner Freundin P. Sie scheint sich auch schon ihre Gedanken über die Keuschheitsunterwäsche gemacht zu haben und verkündet radikal: "Kopftücher verbieten wollen, aber Watte-BHs herstellen!" Ich schaue sie fragend an. "Na ist doch wahr. Das Gekreische um Kopftücher und verhüllte Frauen wird immer hysterischer, Freiheit und so. Und dann soll eine Brustwarze unterm Pullover plötzlich ein Problem sein?"
Vielleicht braucht es BH-verbrennende Feministinnen. Auch wenn es die nie gegeben hat, sie immer nur ein Symbolbild waren, gefällt mir die Vorstellung, sie Realität werden zu lassen. Für die Brüste dieser Welt zum Streichholz zu greifen. Eine Frage aber bleibt : Woher kriege ich jetzt den Bikini?
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