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Kolumne Das GerichtLegenden aus dem Reich der Mitte

Jörn Kabisch
Kommentar von Jörn Kabisch

Unser Gastro-Kolumnist Jörn Kabisch weilt in China - und staunt dort über die Vielfalt der chinesischen Küche

Bild: taz

Jörn Kabisch (36) ist Leiter der Schwerpunktredaktion der taz. Er meint: Linke Gourmets müssen keine aussterbende Minderheit bleiben.

Also erst mal muss hier mal mit einer Legende über die Tischsitten im Reich der Mitte aufgeräumt werden: Ja, die Chinesen spucken - auf der Straße, aus dem Auto heraus, vom Fahrrad weg, im Einkaufszentrum, im Zug und vielleicht, wenn sie unter sich sind, auch beim Essen am Tisch. Aber nicht im Restaurant. Ich habe das noch nicht gesehen in den vergangenen zwei Wochen, die ich in Peking bin und eigentlich fast nur esse. Stattdessen habe ich verfolgt, wie Chinesen mit höchster Fingerfertigkeit die Stäbchen nehmen und, als wären sie eine Pinzette, damit ein winziges Stück Knochen zwischen den Lippen hervorziehen.

Die zweite Legende: Ein normaler Chinese würde auch nie das Zeug anrühren, das in irgendeinem "Roten Drachen" zwischen Mittenwald und Flensburg als chinesische Küche serviert wird. Er ekelt sich genauso wie ein halbwegs gebildeter Esser über muffig-säuerliche Bambusspitzen aus der Dose, abgestandene Fischsoße und verklumptes Ingwerpulver. Und auch der Chinese findet: Gute Küche kommt ohne Großeinsatz von Glutamat aus.

Die dritte Legende: Es gibt keine chinesische Küche. Es gibt nur die Küchen seiner Regionen und Provinzen. Kanton ist die Toskana Chinas, die Sezchuan-Küche (genau: Achtung, sehr scharf!) unterscheidet sich davon wie wie die mexikanische von der skandinavischen Küche. Die Nudeln aus Shanxi sollte man einmal im Leben gegessen haben und Peking-Ente in Peking auch.

Und die vierte Legende: Vergessen Sie die Geschichten von Hunden und Affen, die geschnetzelt in den Wok geworfen werden. Bei der Vorstellung schüttelt es auch im Reich der Mitte nicht wenige. Nach zwei Wochen in Peking, finde ich, ist es jetzt endlich an der Zeit für neue Legenden.

Die erste neue Legende: Chinas Küche gehört in die erste Liga und mindestens an die Seite Frankreichs und Italiens. Hier wird mit so viel Aufwand gekocht und so virtuos, dass es eine Pracht ist. Chinesische Küche ist zudem ein abgeschlossenes Universum, in sich wahrscheinlich vielfältiger als die europäische Küche und auch an Geschmäckern reicher. Dafür muss man nur in jedem Restaurant einen Teller eingelegten Tofu, Gemüse und ein Fleischgericht bestellen. Es schmeckt immer anders.

Die zweite neue Legende: Die Esskultur ist extrem ausgeprägt. Würde der Michelin hier Tester anstellen, sie würden Jahre brauchen, um einen Überblick der chinesischen Restaurants zu geben. Wahrscheinlich würden sie sogar versagen, weil zumindest in Peking ständig Restaurants auf- und zumachen. Ein Restaurantführer ist ohnehin überflüssig, da man mit vielen, vielen chinesischen Hauptstädtern Stunden verbringen kann, in denen sie einem die verschiedensten Lokale anpreisen und die ganze Zeit auch untereinander Restaurantnamen austauschen. Sonst beachte man nur die Regel: Besuchen Sie ein Lokal in dem schon viele Chinesen sitzen und zeigen Sie auf die Speisen an den Nachbartischen, auch wenn das Zeug undefinierbar erscheint. Kann nichts schiefgehen.

Chinesen sind zudem große Genießer. Sie essen lange, sie unterhalten sich dabei lautstark und geben Acht, dass auch die Gesprächsthemen appetitlich sind. Und es ist auch wichtig, dass am Ende immer was auf dem Teller bleibt. Essen sie mal richtig gut in China, dann werden Sie feststellen, wollen Sie diese Höflichkeitsregel befolgen, lernen Sie ganz neu, was Askese bedeuten kann.

Die dritte neue Legende: Vergessen Sie die Sache mit dem Reis. In chinesischen Restaurants gibt es eher Nudeln, und Reis bekommt man verklebt und geschmacklos nur auf den Tisch gestellt, wenn man ihn extra bestellt - und das mit einem mitleidigem Blick: Ja, die Langnase.

Und die vierte neue Legende: Chinesisch zu kochen ist die einfachste Sache von der Welt. Eigentlich braucht man nur einen Wok, etwas Sojasoße, Ingwer und wirklich richtig frische Zutaten. Vergessen Sie das ganze Zeug, dass im Asia-Regal steht, es ist nur dazu da, Zutaten mit dem Geschmack zu übertünchen, den Sie vom Billigchinesen um die Ecke kennen. Und seien Sie kreativ. Irgendwo in China hat ein Koch dasselbe sicher auch schon mal erfolgreich ausprobiert.

Fragen zum Wok? kolumne@taz.de MORGEN: Corinna Stegemanns MÄRCHEN

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Jörn Kabisch
Autor
Wirt & Autor für taz und FuturZwei

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