piwik no script img

Kolumne DAS SCHLAGLOCHWhat about me?

Kommentar von Renée Zucker

Zwei Sinnsucher reisen um die Welt. Und landen bei einem Weisen aus Dortmund.

There is no future.

There is only this. (E. Tolle)

Noam Chomsky wundert sich. Er bekomme so oft Post von jungen Leuten aus Nordamerika oder Europa, die ihn fragen, was sie tun könnten, um die Welt zu verändern. "Menschen aus armen Ländern stellen diese Frage überhaupt nicht", sagt der Sprachwissenschaftler, "sie schreiben mir einfach, was sie tun."

Chomsky erzählt das den beiden englischen Musikern und Filmemachern Duncan Bridgeman und Jamie Catto, die als "1 Giant Leap" bekannt sind - Initiatoren einer globalisierten Kreativgemeinde im besten Sinne. Auf der Suche nach "Wahrheit in der Welt" klapperten sie in sechs Monaten alle möglichen Menschen ab, die sie verehren, für wichtig halten oder einfach nur mögen. Sie baten sie, von ihren Erkenntnissen zu berichten, ein Lied zu schreiben, ein Instrument zu spielen oder alles zusammen. Das Ergebnis ihrer Arbeitsreise heißt "What about me?" und wurde diesen Sommer auf zwei DVDs veröffentlicht.

Reisten die Produzenten von "One world one voice", das vor 18 Jahren als Initiation für ein medial organisiertes, weltumspannendes musikalisches Kommunikationsfestival galt, noch mit einer Basslinie von Sting über die Kontinente, beginnt hier der musikalische Staffettenlauf mit einem simplen Riff auf der Oud, gespielt von einem Musiker in Kairo. Ein brasilianischer Sänger übernimmt die Tonfolge mit der Stimme, ein indischer Flötist greift die Melodie auf, fliegt mit ihr ein Stückchen; weitere folgen. Zwischendurch berichten Noam Chomsky, Susan Sarandon, Carlos Santana, ein Rapper, eine Tanzlehrerin, ein Jain-Priester, ein Evangelikaler, Tim und Tom Robbins, Ram Dass und Bhagavan Das, Stephen Frears und wer nicht noch alles von ihren jeweiligen Wahrheiten, während KD Lang oder Michael Stipe, Daniel Lanois, Ulali, Baaba Maal, isländische Obertonsänger und ein Jodelchor der Pygmäen und viele andere Solisten und Gruppen ihre Songs über den mittlerweile schon ziemlich großartig angeschwollenen und manchmal kaum noch zu erkennenden Riff probieren.

"What about me" zeigt in verschiedenen Episoden ein ziemlich breites Spektrum von Weltmusik und spirituell-politischer Sinnsuche. Es geht um Bombardierung (von medialer Manipulation, äußerem und innerem Lärm), um Verletzung und Schmerz, Männer und Frauen, Liebe und Bedürftigkeit, Gier und Freiheit, Verlust und Gnade - und am Ende um die Reise an sich: das Leben, das Alter und der Tod. Ein grandioses, manchmal bewegendes, ärgerliches oder lustiges und äußerst anregendes Vergnügen.

Die ergreifendsten Momente schaffen sicherlich immer wieder die Musiker und SängerInnen, aber auch bei den Gurus und Guretten hält sich der eitle Pirouettentanz ob der eigenen Erleuchtetheit in erträglichen Grenzen. Das hat gewiss auch etwas mit der freundlichen Unbekümmertheit der beiden Engländer zu tun, die trotz aller schwärmerischen Andacht (Oh mein Gott, hier wohnt Stewart Copeland, da kommt Michael Stipe …) genau wissen, was sie von den Leuten wollen. Alle "tun" etwas in diesem Film. Sie tanzen, singen, beobachten, überwinden Misstrauen oder Ängste, zeigen sich, erzählen, kommunizieren. Eine der uneitelsten Gestalten ist sicherlich Eckhart Tolle. Meine Freundin Antje, eine Kindergärtnerin, sagt, er sehe aus wie das Sams. Das Sams hat ein grünes Gesicht mit blauen Punkten unter roten Haaren und eine Rüsselnase. Es ernährt sich von allem, was es so gibt, aber am liebsten von Würstchen mit Senf. An seinem Körper hat er lauter Wunschpunkte, mit denen man sich naturgemäß Wünsche erfüllen kann.

Ob Duncan Bridgeman und Jamie Catto die Kinderbuchreihe von Paul Maar kennen, bleibt ungewiss. Aber während Tolle von seiner Erkenntnis des Schmerzkörpers erzählt, zeigen sie einen kindlich anmutenden Animationsfilm: wie dickbäuchige Kugelwesen aneinander vorbeiirren, ihre Münder gierig aufreißen und von dunklen kleinen Monstern besetzt sind, die sich von dunklen Gedanken ernähren und ihre Träger zu weiteren dunklen Momenten dirigieren.

In Tolles Szenario ist der Schmerzkörper ein eigenes Wesen - eine Kugel voll von Unglück, die Akkumulation eines alten Traumas, die im Menschen lebt und mit Hilfe von jeder Menge Verletzung, Schmerz und Drama überlebt und immer dicker, stärker und unersättlicher wird. Tolles Tipp: Nicht gegen die Unglückskugeln ankämpfen, das stachelt sie nur noch mehr an. Man soll sie sich freundlich betrachten: Aha, hier seid ihr wieder und so seht ihr aus. Zum Beobachter des eigenen inneren Geschehens werden, statt sich damit zu identifizieren und darin zu verlieren. Da ist die Emotion und hier bin ich. Dabei freut er sich über die eigene Erkenntnis und lacht keuchend wie ein Kind im Hochstuhl, daß sein Essen vom Löffel auf die Küchenwand bugsiert hat.

Der Autor Christian Schüle schrieb verblüfft und beeindruckt: "Eckhart Tolle ist die inszenierte Verkörperung des Antizeitgeists, der die Logik spätkapitalistischer Wunschbefriedigung mit vormoderner Mystik aushebelt. Nichts sein wollen. Nichts inszenieren müssen. Einfach sein. […] Es ist, was es ist. Es ist, wie es ist. Und so ist es gut."

Nun ist Tolle ja nicht der erste Weisheitslehrer, der die Kunst der offenen Aufmerksamkeit empfiehlt. Aber er macht es auf so bestechend einfache Art mit seinem altmodischen Pullunder- über-dem-Oberhemd-Style und dem zunächst so befremdlichen und dann immer liebenswerter leuchtenden Kindergesicht, dass man ihm schon allein wegen seiner gegen alle Marketingregeln verstoßenden Erscheinung sehr aufmerksam zuhört.

Vermutlich liegt es daran, dass er in Dortmund geboren ist. Die Stadt, in der Wolfgang Clements Lieblingswitz von der Blondine beim Mathequiz spielt. Sie braucht drei Anläufe, um das richtige Ergebnis von "3 weniger 2" zu raten. Und jedes Mal schreit das Dortmunder Publikum: "Gippse noch ne Schangse". Auch, nachdem sie "1" gesagt hat. "Gippse noch ne Schangse" ist einer der schönsten Sätze der deutschen Sprache. Und er passt in seiner frohgemuten Schlichtheit so hervorragend zu Eckhart Tolle, der natürlich schon lange nicht mehr in Dortmund lebt.

Während Chomsky noch über die hilflose Passivität seiner westlichen Briefschreiber nachdenkt und genau dies für eine gewollte Folge unserer Erziehung und Indoktrination hält - "Du sollst glauben, dass du nichts machen kannst" -, ist Tolle nicht so sehr an äußeren Glücks- oder Unglücksverursachern interessiert. Für ihn wäre schon viel gewonnen, wenn die Leute mehr das Jetzt zu schätzen wüssten. "Ein Teil unserer Gestörtheit besteht ja darin, dass wir so leben, als sei die Zukunft wichtiger als das Jetzt." Die alte Formel des ehemaligen Harvard-Professors Richard Alpert und heutigen Gurus Ram Dass - Be Here Now (das gleichnamige Buch aus den 70ern kann mittlerweile als E-Book downgeloadet werden) - ist hier noch einmal wiedergekehrt. Für die, die es vergessen hatten und für die, die es noch nicht wussten. Und nie war sie so wertvoll wie heute.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • PM
    Paul Maar

    Liebe Renée Zucker,

    besten Dank für Ihren schönen Artikel.

    Was Ihr Aussehen als Sams anbelangt (das man Ihnen unterstellt): Besagte Kindergärtnerin bezog sich nicht auf den ersten Band der Sams-Geschichten, sondern auf die letzten. Dort wird nämlich erzählt, dass das Sams sich in dem Maß in dem sein Papa Taschenbier "samsiger" wird, zum Kindlichen hin entwickelt. Es verliert seine grüne Gesichtsfarbe, seine Nase wird weniger rüsselförmig.- Nur die roten Haare bleiben. Und die Wunschpunkte.