piwik no script img

Kolumne BlagenZöpfchenelfen, scharf bewacht

Anja Maier
Kolumne
von Anja Maier

Wer bin ich, in diesem demografisch gebeutelten Land Kinder als störend zu empfinden? Mein Problem ist ein anderes.

Schön geordnet sehe ich sie dahinziehen, wie Entenküken. Ich überhole die Kinderschar mit meinem Fahrrad auf dem Weg zum Vorortbahnhof. Soll keiner sagen, der Nachwuchs sei ohne Perspektiven - diese Armada aus Erstklässlern mit ihren Zöpfchenkreationen, den Daunenwesten und Hüftjeans in XXS bietet einen ansprechenden Anblick. Der Trupp wird von drei Frauen eskortiert.

Im S-Bahn-Waggon sehen wir uns wieder. Ich bin in der Frage des besten Platzes auf dem morgendlichen Arbeitsweg etwas neurotisch. Es muss der Ecksitz vorn im zweiten Waggon sein. Ich habe da eine Abteilwand im Rücken, und rechts von mir scheint die Sonne auf meine Tageszeitung. So lässt es sich aushalten, wenn man 45 Minuten vom Speckgürtel in die Metropole fährt. Auch die Grundschulklasse hat sich für den zweiten Waggon vorn entschieden. "Marla, hier, hier!" piepst eine Einszwanzigelfe neben mir und hält für Marla den Platz frei, auf den sich nun beide quetschen. Das ist schlecht fürs komfortable Zeitungsstudium, aber wer bin ich, Kinder in diesem demografisch gebeutelten Land als störend zu empfinden? Nicht einen tadelnden Blick werden sie von mir sehen, da können sie mit ihren Saftflaschen und Müsliriegeln noch so rumsauen. Kinder? Großartig und rar. Mein Problem ist ein anderes.

Bild: privat

Anja Maier ist Redakteurin bei der Sonntaz

Denn während die Kinder plaudern, in ihren Tupperdosen kramen und die Autoquartettkarten ziehen, hat sich im Mittelgang das Aufsichtspersonal postiert. Wie Kettenhunde schnüren die Frauen auf und ab, auf der Suche nach einem Vergehen. "Marla, pass auf!", raunzt die ondulierte Dame, "du störst die Frau." Ich lächele und sage zu Marla: "Du störst mich nicht." Rar!

Besonders die Jungs sind fest im Fokus der Wärterinnen. Hier nicht stehen! Da nicht sitzen! Aus dem Weg! Das sagt man nicht! Letzte Warnung!

So geht es und geht es. Der Waggon füllt sich mit Pendlern, Fahrrädern, Schnorrern. Die Kinder erweisen sich als tipptopp Reisende, sie legen ihre Köpfe in den Nacken und betrachten Erwachsene, während die Befehle ihrer Scherginnen auf sie niederprasseln. Immer lauter, immer knapper. Mach Platz! Sei ruhig! Mütze auf! Weg von der Tür!

Ich könnte das ausblenden, Teil meiner Nahverkehrsneurose ist, dass ich stets ein Paar Ohrstöpsel mit mir führe. Aber ich kann es nicht. Weil es meine eigene Kindheit ist, die mir hier in Gestalt dreier Wiedergängerinnen entgegentritt. Ich spüre die Konditionierung, die ich als Kind erfahren habe, die Sehnsucht, von diesen Megären wenigstens so was wie gemocht zu werden, die Gier nach einem Fetzen Lob. Jahrzehnte ist das jetzt her und immer noch kein bisschen erträglicher.

Jetzt kommt meine Station. Ich lächle Marla zum Abschied zu und lande beim Aussteigen ganz unglücklich auf dem Fuß einer der Wärterinnen. Hier nicht stehen, letzte Warnung! blaffe ich. Ich darf jetzt gehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

2 Kommentare

 / 
  • N
    Nick

    Danke für die schöne Kolumne. Was bei der Hunde-Dressur funktioniert kann für die Kinder-Erziehung ja nicht schlecht sein.

  • H
    henry

    großartig ...

     

    die "tanten" erinnern mich auch oft an schwester ratchet aus dem kuckucksnest....

     

    und schon jesus hatte mehr freude an den kindern als an den alten.