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Kolumne BlagenRegression, Baby!

Anja Maier
Kolumne
von Anja Maier

Der erste Jugendfreund meldet sich über Facebook. Und versucht wieder in mein Leben zu treten. Aber da ist es schon voll.

M an sollte es kaum glauben - ich kann es selbst kaum glauben -, aber tatsächlich war auch ich mal ein Kind. Erst ein sehr kleines, dann ein halbgroßes und schließlich ein junges Ding, gefangen im Körper einer Fünfzehnjährigen. Äußerlich schon als Frau am Start, emotional noch in der Spielecke. Damals hatte ich meinen allerersten Freund. B. war ein lustiger Jungmann aus der ostdeutschen Provinz, ein paar Jahre älter als ich, und bis klar war, dass wir wohl doch nicht bis an unser Lebensende zusammenbleiben werden, vergingen etwa drei Monate. Also alles in allem eine normale Teenagerbeziehung.

Warum ich das hier erzähle? Weil B. vor ein paar Tagen wieder aufgetaucht ist und nun irritierenderweise versucht, das zu tun, was man "in mein Leben treten" nennt. In meinem Leben ist aber schon alles voll. Sorry, B.

B. wurde mir bei Facebook von diesem verdammten Freundefinder vorgeschlagen.

Bild: privat

ANJA MAIER ist Redakteurin der sonntaz.

Ach, dachte ich, guck an, der B.! Ich versandte eine Anfrage und erhielt umgehend eine hocherfreute Antwort. Es stellte sich heraus, dass B. heute wieder in seiner Geburtsstadt in Mecklenburg lebt und seit zwei Jahren schwer krank ist. Die Details seines zweifellos schicksalhaften Unfalls samt der dramatischen Folgen wurden mir relativ umfassend per Facebook mitgeteilt. Es fehlte nur noch, dass B. ein paar ansprechende Wundfotos oder dergleichen angehängt hätte.

Ich verlieh meinem Mitgefühl Ausdruck, wie es sich gehört, und schrieb Sachen wie "Du Armer" und "Tut mir leid". An dieser Stelle muss in B.s Erinnerungs-Gegenwarts-Kontinuum irgendwas falsch verschaltet worden sein. Jedenfalls scheint meine Freundlichkeit ihn auf die Idee gebracht haben, da, an einem Laptop in der deutschen Hauptstadt, sitze die Fünfzehnjährige von einst. Eine Frau, die sich, Jahrzehnte nachdem er sie verlassen hat, immer noch nicht von diesem Schock erholt hat und nun darauf hofft, ihn heilen und trösten zu dürfen.

B. fing nun jedenfalls an, mich in seinen Mails bei meinem früheren Spitznamen zu nennen. Ein schrecklicher Kinderspitzname, den ich nicht nur hier nicht wiederholen werde, sondern den ich ihn auch bat sofort zu unterlassen. Eine schöne Gelegenheit für B., mich damit weiter zu necken. Seine Mails wurden länger, meine immer knapper. Schließlich seine Charmeoffensive: "Möchtest Du zum Wochenende herkommen ? Ich lade Dich herzlich ein, scheiß auf die Fahrtkosten, die bezahle ich gerne für Dich. Obendrein sind hier am Wochenende die Parkfestspiele - lass uns hier Spaß haben - und ich werde nur noch ganz gaanz leise (so, dass es niemand hört) XXX* sagen. Los, trau Dich."

Ich weiß, aus solchen Geschichten werden Drehbücher zu jenen Filmen gedrechselt, in denen sich dann Qualitätsschauspieler wie Christine Neubauer und Heino Ferch einen Wolf spielen. Einst zu jung für die Liebe, aber heute, gebeutelt vom Schicksal, die alten Gefühle neu entdecken und endlich zusammen in den Sonnenuntergang reiten. Sehr ansprechend.

Aber jetzt mal in echt - wenn da ein B. schreibt, er will mit mir nach Las Vegas fahren, die Sonne putzen, beziehungsweise in die Kreisstadt zum Parkfest? Schock! Ich tat das Naheliegende und schrieb: "Auf keinen Fall." Ob das gereicht hat, erfahren Sie in der nächsten Kolumne.

* Hier stand dieser bekloppte Spitzname

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

7 Kommentare

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  • S
    stadtkind

    schön, wie hier ein schwerkranker, von der autorin zuerst kontaktierter (wieso eigentliche? um zu berichten, was aus ihnen "geworden ist"?)facebook-user der lächerlichkeit preis gegeben wird.

     

    unheimlich

    witzig.

     

    ps: aber super geschrieben. musste auch lachen. leider.

  • PC
    Pat's Cat

    Ich bekam beim Lesen eher den Eindruck, daß hier ein durch Krankheit eher ans Haus gebundener und dadurch vlt etwas vereinsamender Mensch versucht, ein "neues" soziales Leben mit Hilfe des Internets aufzubauen und sich dabei wohl eher nicht so geschickt anstellt.

    Die öffentliche Echauffierung von Anja Maier darüber halte ich allerdings für nicht minder ungeschickt, da obiger Eindruck entstehen konnte.

     

    Also los, XXX, trau dich vlt doch - immerhin scheint ihr etwas gemeinsam zu haben. ;)

     

    Ich gebe zu, alte Bekannte, die sich nach Jahrzehnten über Facebook melden, um dann _keinen_ Kontakt haben zu wollen, habe ich bis heute nicht verstanden -- sie würden vermutlich eh mal wieder nicht antworten, früge man sie. ;)

     

    Hello, I must be going. Just came to say I cannot stay... X)

  • R
    Rico

    Der Typ hockt schwer krank in der Provinz und die Trulla schreibt ihn als erstes an auf Facebook...? Kann schon mal vorkommen das da einer in der Einsamkeit der Mecklinburgischen Pampa nicht merkt, dass die Kontaktaufnahme nicht ernst gemeint war, sondern nur das übliche Facebookspiel: "Ich präsentiere mich der Welt und die anderen interessieren ich mich eigentlich einen Schei##." Alle posten aneinander vorbei und tauschen höchstens mal absolute Belanglosigkeiten aus.

     

    Drollig ist auch wie die Autorin hervorhebt das sie jetzt wichtig, weil aus der Hauptstadt ist. Da merkt man was wirklich provinziell ist.

  • M
    Max

    Witzig ! (zumindest wenn man dies als Ausstehender miterlebt ;-).

     

    Denke aber, dass dies gar nicht so selten geschieht. FB & Co. geben wohl auch dem letzten kontaktgestörten Grenzschizophrenen eine Plattform welche anonym und doch persönlich genug ist. So kann nun jeder seine Groupies und Stalker haben (oder auch sein).

     

    lshitipal

    Max

     

    PS. Bei möglicher Verfilmung Deines Stoffes hatten wir wohl unterschiedliche Assoziationen: Meine Geschichte beginnt eher damit, dass der Täter etwas mit Lippenstift an den Badezimmerspiegel schreibt, der Rest wird dann in Rückblenden aufgelöst. (TAZ-Interview mit Nachbar: „Und er war immer doch so ein ruhiger, unauffälliger junger Mann.“)

  • S
    sonja

    Solche Zombies aus der Vergangenheit mußte ich bereits mehrfach abwehren. Und oft handelt es sich um Merkbefreite, die nie kapieren wollen, dass man ihnen eine klare Abfuhr gegeben hat, also glaub nicht die Nummer wäre damit zu Ende...

     

    Also für mich ist Facebook nur noch eine Seuche.

    Unterm Strich hat man mehr Nachteile als Vorteile und verplempert unglaublich viel kostbare Zeit damit, und ganz nebenbei verschenkt man seine persönlichen Daten an die größte Datenkrake der Menschheit.

     

    Ich hab mich inzwischen bei Facebook komplett abgemeldet - und mir fehlt nichts, ganz im Gegenteil.

  • P
    Peter

    Herrlich :-)

    Sehr schön geschrieben.

  • K
    Kalle

    "in denen sich dann Qualitätsschauspieler wie Christine Neubauer und Heino Ferch einen Wolf spielen" - hihihi, die Wendung gefällt mir. *kicher