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Kolumne Bitches in Baku #4Das Wacken der Schwuppen

ESC-Fans sind die Links zu einem bekennenden Europäertum: In das Raumschiff ESC dürfen alle einsteigen, egal wie schlecht ihre Stimme ist oder ihre Frisuren sind.

Könnte popästhetischer Müll sein. Darf aber trotzdem mit ins Raumschiff ESC und heißt Jedward. Bild: dapd

D as muss auch in Baku bemerkt werden: Dass die Fans des Eurovision Song Contest eine eigene, man könnte sagen, selbstbestimmte zum Ereignis selbst einnehmen. Viel wird allgemein in der heterosexuellen Öffentlichkeit – und bei einigen homosexuellen Selbsthassern -, dass die Lieder des ESC Abfall des Pop, ja, Sondermüll des zeitgenössischen Musikalischen sind. Dass niemand diese Lieder hört, außer den Fans. Nur gemacht, um in einem Wettbewerb verklappt zu werden. Motto: Wird schon reichen, um nicht Letzter zu werden.

Eine heterosexuelle Freundin bemerkte mal, das sei das Festival der Schwulen, und die würden doch Trash lieben. Es war, als spräche eine gutmeinende, gleichwohl subtilst fies-mütterlich einwirkende Tante auf mich ein. Etwa, als sagte sie: Du bist ja sonderbar, mein Kind, aber Gott hat auch Dich lieb, ich vor allem.

Unter den Fans des Grand Prix Eurovision läuft niemand herum, egal aus welchem der 45 Ländern, aus denen sie kommen, der von sich behauptet, ästhetischen Dreck zu bevorzugen. In Wahrheit scheint es ihnen eher so, als genössen sie das Spektakel der Eurovision – immerhin ist es die einzige nichtsubventionierte Kulturveranstaltung in Europa, die auch Geschmäcker vorstellt, welche sich dem allgemeinen, auch independenten Pop entziehen.

Bild: taz
Jan Feddersen

Redakteur für besondere Aufgaben der taz. Jahrgang 1957, schreibt als Journalist und Buchautor („Wunder gibt es immer wieder“) über den ESC seit 1989. Er bloggt auch auf eurovision.de für die ARD.

Allen den Hof machen

Man hält allgemein hier Abba für das größere Popgeschenk als das die Beatles abgaben; auch kann man unter Fans mehr mit Lady Gaga oder Madonna anfangen als mit Männergeheul wie Jack Johnson oder Gruppen wie Kettcar, von unsäglich selbstbesoffenen Gruppen wie Kettcar zu schweigen. Eurovision Song Contest, das ist das Wacken der Schwuppen, könnte man sagen. Und sie machen allen den Hof, allen Acts, die beim ESC auftreten.

Egal, aus welchem Land: Wenn Fans, die als Journalisten arbeiten, allen Künstlern für die tolle Show danken, darauf insistieren, es müsse doch vom isländischen Lied auch eine kroatische Fassung geben, der Völkerverständigung wegen, außerdem sei diese oder jene Sängerin besonders prima – geben sie buchstäblich allen Künstlern das Gefühl, wenigstens für eine Viertelstunde, etwas ganz Besondereres auch über die eigene Landesgrenze hinweg zu sein.

Sagt die Albanerin, dass ihr peinsames Lied vom Schmerz handele, der sie jedes Mal wieder auf der Bühne überkomme, weint das mitstenografierende Auditorium beinahe mit; sagt die Schwedin Loreen, sie fühle sich gut bis perfekt, dann kriegt sie Applaus. Es ist wie neulich bei einer Pressekonferenz von Madonna: Da wussten die Medienmenschen auch nur Fragen zu haspeln – eher wollten sie einer Séance beiwohnen.

Jenseits der Einflussspähren

Das ist eben das, was alle Künstler, auch Roman Lob, der gestern in Baku eintraf und morgen die erste Probe absolvieren muss, genießen können: Aufmerksamkeit auch jenseits der üblichen Einflusssphären ihres Pop. Insofern darf man die These wagen, dass ESC-Fans die Links zu einem bekennenden Europärtum sind. Sie kommen miteinander aus, das ist dem Korpsgeist des ESC geschuldet: Alle sind willkommen.

Wobei in diesem Jahr in Baku tatsächlich weniger angereist sind als voriges Jahr in Düsseldorf oder in Oslo 2010. Irre und Wirre gibt es natürlich auch, aber gibt es die beim Fußball nicht erst recht?

Könnte dieser ESC nicht trotzdem Müll sein – popästhetisch? Ach Gottchen, könnte sein. Etwa pseudopolitische Acts aus Montenegro oder die Iren von Jedward, die immer noch glauben, gezuckert-steife Frisuren könnten dauerhaft vom mangelnden Gesang ablenken. Aber wer wollte das bestimmen. Das Raumschiff ESC mit seinen Fans und Funktionären genießt Baku. Sie sind alle bitchig genug, die allgemeinen Auffassungen von Coolness im Pop missachten zu können.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
Jan Feddersen
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Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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8 Kommentare

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  • G
    Gänseblümchen

    Ich würde gerne eine Stellungnahme anbieten.

    Geht aber nicht.

    Dabei dachte ich zunächst, Feddersen hätte in seiner Kolumne im "Der Freitag" einfach nur schlampig zitiert.

    Hat er aber nicht.

    Wozu auch? Copy & Paste ist ja viel einfacher.

     

    Schon am ersten... na, nennen wir es mal "Satz"... bin ich gescheitert: Wen oder was nehmen "die Fans des Eurovision Song Contest" ein? Eine eigene Haltung? Einen eigenen Platz im Olymp? Ein eigenes Frühstück??

    Und was genau wird da "allgemein in der heterosexuellen Öffentlichkeit – und bei einigen homosexuellen Selbsthassern -," getan? Gemunkelt? Gebasht? Gebitcht? Gebraten?

     

    Sorry, lieber Verfasser, aber so kommen wir nicht ins Geschäft. Da muss ich mich "The Harlow" anschließen, denn das können die meisten Siebtklässler besser.

    Schade.

    Ich hätte so gerne mitgeredet.

  • O
    orthus

    Mhh, keine Ahnung, ob der ESC den Abfall des Pop darstellt, aber ist Pop nicht allgemein eh das Fastfood der Musik und damit selbst schon der "Abfall" dieser Kunstrichtung?

     

    Ich kann jedenfalls keine groben Qualitätsunterschiede zwischen den ESC-Interpreten und normalen Charts"musikern" erkennen. Produzentenmüll ohne Herz und Seele halt.

  • TH
    The Harlow

    Kann den Artikel bitte nochmal jemand schreiben der der Sprache ausreichend mächtig ist um lesbare Satzkonstrukte zu schmieden? So richtig mit Subjekten, Verben, Objekten und dem ganzen Schmodder? Das wäre ganz wundervoll. Ich glaub ja in dem Artikel ging es irgendwie um dieses seltsame Mutantenstadel Junior, das lief glaub ich sogar im Fernsehen jetzt oder kommt das noch? Puh, keine Ahnung. Hat man die Flimmerkiste erstmal abgeschafft lebt es sich doch viel entspannter, insbesondere in der U-30 Zone.

     

    Andererseits gibts sicher noch genug die wahllos Wörter zusammenstellen in der Hoffnung auf der ESC-Flachwelle mitsurfen zu können. Ist halt nur blöd wenn das Surfbrett Löcher hat...

     

    PS.: Ich bin käuflich. Für genug monetären Anreiz les ich Artikel gern nochmal drüber am Ende, aber unter 14 € Stundenlohn tu ich mir das nicht an, nur dass wir uns gleich richtig verstehen.

     

    PPS: Die Arroganz in dieser Antwort dient als Spiegel zur im Artikel enthaltenen, vielen Dank für die Kenntnisnahme.

  • K
    korrektor

    Bei der Kettcar-Stelle hat sich eine Doppelung eingeschlichen, oder gehört das so?

  • T
    Tobfunker

    Ich höre das ganze Jahr über Underground Hip Hop, Indie- und Folkrock und House und Techno. Aber einmal im jahr gönn ich mir ne Woche europäisierten Pop-Abfall. Das macht echt Spaß!

  • TR
    Tom Rheker

    Der Grand Prix/ESC ist also eine Veranstaltung für Homosexuelle, die sich selbst lieben. Heteros und selbsthassende (au Mann...) Homos sind außen vor. Interessant. Was für ein "von oben herab"-Kommentar, da gebe ich "Icke" sehr recht.

     

    Ganz schön viel Ausgrenzung Anderer und Selbstrechtfertigung von einem selbstverliebten Homosexuellen für eine Veranstaltung, die ich immer für sehr gut gehalten habe, auch wenn es dort viel Pop-Uninteressantes zu hören gibt. Aber was die Freude angeht, die sie hervor ruft - ich kann mich ihr nicht entziehen.

     

    Nachdem ich das jetzt allerdings gelesen habe, weiß ich gar nicht, ob ich eine derart "elitäre" Veranstaltung überhaupt noch schauen mag.

     

    Es scheint auch eine wirklich gute "Freundin" zu sein, der der Autor derartige Hintergedanken unterstellt. Da möchte man kein/e Freund/in sein...

     

    "Insofern darf man die These wagen, dass ESC-Fans die Links zu einem bekennenden Europärtum sind." Was, bitteschön, ist ein "Europärtum"? Europäertum? Kenne ich nur das Wort nicht? Bitte um Erklärung.

     

    Also nur sich-selbst-liebende (wobei es in dem Artikel mehr klingt wie "selbstverliebte") Homosexuelle sind bekennende Europäer? Armes Europa.

     

    Und ja, ich werde den ESC doch genießen, versuchen, so wenig Artikel wie möglich von Feddersen zu lesen und dennoch ein europäisch Faszinierter zu bleiben.

  • V
    vic

    Der ESC IST Abfall des Pop. Würde mich wundern, wenn das dieses Jahr anders wäre.

  • I
    Icke

    Ziemlich weit von oben herab, Dein Kommentar. Es sind doch Leute wie Du, die ständig und überall den Anspruch haben, die Mehrheit anführen zu wollen und zu zeigen wo es lang geht. Genau das ist Deine Mehrheit... kulturell, intellektuell und finanziell... Also hör auf über Deine Wähler zu mosern. Das ist das, was Du verdienst! Das bist Du!