piwik no script img

Kolumne Bitches in Baku #2Staub statt Standards

Keine Fahrradfahrer, kein Öko-Zeug, Baustaub, Frauen auf Highheels und Männer mit spitzen Schuhen: Das sind nicht nur Klischees, das ist wirklich Baku!

B AKU taz Unbedingt verdient Lob, wenn ein deutscher Parlamentarier wie Volker Beck sich extra auf den Weg nach Baku macht, um für das oppositionelle Projekt „Singing for Democracy“ zu werben. So saß er Dienstag beim Park Inn Hotel im Herz der aserbaidschanischen Hauptstadt, um, wie er vorab verlauten ließ, wenn schon nicht durch schiere eigene Präsenz mitteleuropäische Standards der Menschenrechte durchzusetzen.

Sondern um den Verhältnissen in Baku „verbal“ vor’s Schienbein zu treten. Das tat er denn auch, er machte eine gute Figur auf der eilends einberufenen Konferenz aserbaidschanischer Menschenrechtsgruppen – und sagte, was man eben von einem menschenrechtspolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag erwarten darf: Gutes über das, was sein soll, und Schlechtes über das, was ist.

Man darf natürlich fragen, ob irgendeiner außer den Aserbaidschanern, die gegen das autokratische Regime in Aserbaidschan den Mund aufmachen, das nützlich findet, wenn da ein Aktivist aus Deutschland sie beehrt. Doch wahr ist auch, dass außer Volker Beck das niemand macht – kein Sozialdemokrat, kein Unionsmensch, auch nicht einer der Linkspartei, die Liberalen sieht man hier auch nicht.

taz
Jan Feddersen

taz-Redakteur, Jahrgang 1957, schreibt als Journalist und Buchautor („Wunder gibt es immer wieder“) über den ESC seit 1989. Er bloggt auch auf eurovision.de für die ARD.

Schade, denn man würde sie wirklich nicht als Polittouristen in Sachen Menschenrechte belästern. Es wäre jetzt wichtig, den NGOs Gewicht zu geben, gerade von Politikern, die etwa in Deutschland über Menschenrechte nur theoretisch sprechen.

Das tun übrigens nach meiner Beobachtung die meisten Menschen in Baku auch. Die Sonne scheint auch an diesem Mittwoch, der Himmel schimmert nur blaeulich, die Crystal Hall fuellt sich mit Kuenstlern und Kuenstlerinnen, die heute ihren Teil zu proben haben.

Alles im Rausch

Alles in dieser Stadt ist auf den Eurovision Song Contest hin ausgerichtet, über Nacht ändern sich Bilder. Waren es Hunderte von Gartenarbeitern, die plötzlich in der halben Stadt Blumenrabatten angelegt haben? Oder welcher Masterplan sorgte dafür, dass selbst Kioske in der Altstadt mit Wasser abgespült wurden, auf dass sie propper aussehen?

Wobei man nach Deutschland unbedingt die Botschaft rüberbringen muss: Baku ist ein teures Pflaster. Die Preise nicht ganz so hoch wie an den Champs Elysees, niedriger als auf der Düsseldorfer Koe, aber man hält sich wacker, nicht allzu billig zu erscheinen. An der Hauptstrasse zur Halle sind alle Nobelläden der Mode- und Signifikantenbranche aufgereiht.

Alles, was teuer ist und nach Westlichem riecht, hat hier Boutiquen eingerichtet. Ein Anzug eines württembergischen Schneiders, der hier lediglich aus Gründen der Vermeidung von Product Placement nicht genannt sein soll, kostet in Baku drei Mal so viel wie im Firmenoutlet in Metzingen.

Und auch stimmt, was man sonst so liest in Deutschland: Baku – das ist Staub. Baustaub. Und immer noch Ölgeruch, aber sonst dächte man mehr an die Riviera, nicht ans Kaspische Meer. Fahrradfahrer sieht man keine, weil es sie nicht gibt. Und Ökofutter in den Supermärkten? Kennt man nicht. Alles scheint hier im Rausch, bei Frauen gern auf höchsten Stöckeln, bei Männern (Businessmen) in spitzen schwarzen Schuhen. Das sollen nur Klischees sein? Nein, so sieht das hier aus. Menschenrechte sind kein Luxus. Aber sie sind in Baku echt das Teuerste.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • IP
    Ibu Pileti

    Ökofutter gibt es hier durchaus. Man muss es nur ein bisschen suchen!

    Genauso wie Radfahrer! Man muss nur mal die Augen aufmachen!

    Die Blumenrabatten werden immer so angelegt und auch die Kioske regelmäßig abgeschrubbt, wie auch jeden Morgen die Promenade geschrubbt. Auch ohne ESC! Und warum das so ist, erschließt sich ziemlich schnell, wenn man eine Weile hier lebt. Auch wenn man es Baku nicht auf den ersten Blick ansieht, es liegt in einer ariden Zone. Das heißt, es ist auch ohne Bauarbeiten super staubig.

  • B
    bitch

    "'Bitches' in Baku"?! really?!? was soll der scheiß?

  • MS
    Martin Schmidtner

    Lieber Jan Feddersen,

     

    ein wenig verwirrt bin ich ja schon. Sind es nicht nur die "politisch beinah Übersensibilisierten", die "ihre Kameras und Mikrophone zu Veranstaltungen wie “Sing for Democracy” schleppen und von dort berichten,", wie Du in Deinem ESC-Blog geschrieben hattest?

     

    Schön, dass Du trotzdem auch da warst. Allerdings war die Konferenz am heutigen Mittwoch und nicht am Dienstag und die Kampagne heißt "Sing for Democracy".

     

    Die "eilig einberufene Pressekonferenz" wurde übrigens schon vor einem Monat in Berlin angekündigt und die endgültige Einladung kam per Mail schon vor einer Woche, was für aserbaidschanische Verhältnisse früh ist.

     

    Und über Deine Einschätzung des Auftritts von Beck bin ich etwas erstaunt - wie auch abdere Teilnehmer der Veranstaltung.

     

    Aber gut, dass Du auch da warst, auch wenn wir uns gar nicht gesehen haben - Präsenz und Berichterstattung ist wichtig.