Kolumne Behelfsetikett: Sagen wir mal so!
Man sollte öfter über Sprache nachdenken. Das kann eine schöne Gedankenreise inspirieren bis hin zu Angela Merkel.
Regelmäßige Kolumnenschreiber haben ein Problem: Sie sind stets auf Themensuche. Man braucht alle paar Wochen eine Geschichte, die zu erzählen lohnt. Mir laufen zwar den Monat über immer wieder schöne Themen über den Weg, nur vergesse ich die Aufhänger schnell wieder. Der Alltag ist einfach zu stressig.
Vielleicht ist das hier Stoff für eine Kolumne – mal sehen, wohin sich das Material entwickelt. Anfang Oktober ging die Berlin-Redaktion der taz in Klausur (die ist nun ganz und gar kein Thema für diese Kolumne, sorry). Auch der neue taz-Chefredakteur Georg Löwisch schaute für eine Blattkritik vorbei. Die Lokalseiten kamen – sagen wir mal – ganz ordentlich weg. Doch meine jüngste Kolumne über den ersten Besuch einer Moschee sei zu langweilig gewesen, so der Chefkritiker. Kolumnen müssen spannend sein. So!
Apropos „so“: Der Chefredakteur legt Wert auf erstklassige Schreibe und eine genaue Wortwahl und plädiert dafür, an den Texten länger und besser zu feilen. Das kann ich nur unterstützen. Ich habe vor meinem Job bei der taz auch bei einem Monatsmagazin gearbeitet; da ist Zeit fürs Feilen. Im tagesaktuellen Journalismus meistens nicht. Und so passieren dann Fehler wie letztens, dass aus dem Waisenjungen Hans Rosenthal – dem späteren Quizmaster (“Dalli Dalli“) – in einem Text über seine Jahre in Nazideutschland eine „Weise“ wurde. Voll doof, dieser Fehler. Da ärgert sich jeder Redakteur.
Arg bemühte Worte
Oder es gibt zu viele Wortwiederholungen. Oder arg bemühte Wortschöpfungen, um Wortwiederholungen krampfhaft zu vermeiden. Zum Beispiel, wenn ein Politiker oder ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer im Text immer wieder zitiert wird. Der oder die „sagt“ dies und das, aber im nächsten Absatz soll es natürlich nicht schon wieder heißen, dass XY etwas „sagt“. Also schreibt man „erläutert“ oder „meint“ oder „erklärt“ oder – noch einfacher – kurz und knapp „so“. Letzteres kam bei der Blattkritik unseres Chefredakteurs ganz schlecht weg.
Diese Stildiskussion hat bei mir eine gedankliche Zeitreise ausgelöst. Ich fühlte mich schlagartig an DDR-Zeiten erinnert, in denen einzelne Worte auf die Goldwaage gelegt werden mussten. Erich Honecker (1912–1994), Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, Staatsratsvorsitzender der DDR sowie Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrats – Atem holen! –, hatte ständig etwas zu sagen. Dabei drosch er nur Phrasen.
In den von Partei und Staat gesteuerten Medien jedoch hieß es stets, Erich Honecker betone dies, betone das. Denn: Alles, was er sagte, war wichtig. Das schlichte Wort „sagte“ war zu nichtig. Und bei einem „. . . so Erich Honecker“ hätte der verantwortliche Redakteur sicher eingesessen.
Auf Gedankenreise
Die Gedankenreise brachte mich weiter zu Volker Braun, einem zu DDR-Zeiten unbequemen Schriftsteller, und seinem genialen Büchlein „Berichte von Hinze und Kunze“ von 1983: ein schmaler Band, in dem am Beispiel der Herren Hinze und Kunze sozialistischer Alltag durchdekliniert wird. Das ist noch heute lesenswert.
Eigentlich sind Hinze und Kunze gleich und ebenbürtig, wie das im Arbeiter-und-Bauern-Staat so sein sollte. Die Realität aber sieht anders aus: Kunze ist Funktionär, Hinze sein Fahrer. „Kunze sagt wohin: und Hinze fährt davon“ – natürlich nur im übertragenen Sinne. Das klingt in den nur wenigen Zeilen langen Geschichten, Aphorismen gleich, dann so: „Wenn Hinze redete, redete er. Wenn Kunze redete, führte er aus oder erklärte er unter großem Beifall. (. . .) Wenn Hinze gestorben ist, ist er gestorben. Wenn es Kunze trifft, ist er von uns gegangen und sein Ableben ein großer Verlust, denn er ist ein teurer Toter.“ Und so weiter.
Genug von Honecker!
Aber genug von Erich Honecker und Volker Braun. Denn jetzt wird es – Achtung: These! – spannend: In der verbalen Schnittmenge dieser beiden Antipoden tummelt sich, sprachwissenschaftlich betrachtet, Kanzlerin Angela Merkel. Vom Satzbau, vom Sprachduktus und vom rhetorischem Talent her erinnert mich die Bundeskanzlerin von jeher an viele DDR-Politiker von damals. So!
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