Kolumne Älter werden: Philosophieren heißt sterben lernen

Über den frühen Tod eines Freundes und wie man mit Montaignes Hilfe die Angst vor dem eigenen Abschied besiegt.

Mitte Dezember des abgelaufenen Jahres holte sich der gottverdammte Tod noch den tapferen Mann meiner lieben Kollegin Heide Platen - nach langer Leidenszeit an der Geißel der Menschheit, dem fürchterlichen Krebs. Karl-Heinz (62) war ein Achtundsechziger, Gründungsmitglied des Revolutionären Kampfes (RK) in Frankfurt am Main, ein scharfer Denker und Analytiker, mit einer bewundernswerten Courage auch noch im Angesicht des Todes.

Zur Trauerfeier und der Beerdigung auf dem kleinen Friedhof im Stadtteil Bornheim waren sie alle gekommen: die Frankfurter Ikone der Achtundsechziger, der warmherzige Dany Cohn-Bendit, der Straßenkämpfer und ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer, der Cellist der Revolte, Frank Wolff, der ehemalige Opelarbeiter-Agitator und heutige Varieté-Chef Jonny Klinke und der deutsche Botschafter in Kolumbien, Georg Dick, einst Redakteur des legendären Spontimagazins Pflasterstrand - und viele andere vornehmlich aus der Generationen 60 plus links, die Karl-Heinz ein Stück weit auf seinem Lebensweg begleitet haben.

"Like A Rolling Stone" von Bob Dylan erklang zum Abschied am offenen Grab. Und niemand schämte sich seiner Tränen. Freundinnen des Verstorbenen und seiner Familie trugen Gedichte von Paul Celan und Ingeborg Bachmann vor. Patti Smith - "Because the night belongs to lovers!" - und das Quartett in e-Moll von Beethoven waren der musikalische Rahmen für den angenehm unpathetischen Vortrag eines professionellen Trauerredners, der auf Wunsch der Angehörigen auf die sonst üblichen Floskeln von "Gottes unerforschlichem Ratschluss" verzichtet hatte und den Lebensweg des Verstorbenen in einfachen und doch bewegenden Worten schilderte. Ein Segen für die Hinterbliebenen und alle Freunde; und ein "Feast Of Friends" (The Doors), das dem bekennenden Atheisten und leidenschaftlichen Kirchenkritiker Karl-Heinz sicher gut gefallen hätte.

Natürlich, liebe Altersgenossinnen und -genossen der Generation 50 plus links, animieren der frühe Tod eines Freundes und eine solche, im Grunde doch traurige Veranstaltung zum Nachdenken über die eigene Endlichkeit - auch wenn uns die Mortalitätsstatistiker im Durchschnitt noch 20 Jahre plus x zugestehen. Aber wer glaubt schon an so obskure Erhebungen? "Wir werden alle zum selben Ende getrieben. Allen neigt sich die Urne; bald früher, bald später fällt uns das Los und führt uns der Nachen in die ewige Verbannung" (Horaz). Und wie die Angst vor dem Tod besiegen? UNSER Montaigne ist davon überzeugt, dass man dem Tod seine "größte Überlegenheit über uns entreißen" kann, wenn man ihm nur seine Unheimlichkeit nimmt: "Machen wir ihn uns vertraut, halten wir mit ihm Umgang, bedenken wir nichts so häufig wie den Tod, stellen wir ihn jeden Augenblick und in jeder Gestalt vor unserer inneres Auge; beim Stolpern eines Pferdes, beim Fallen eines Ziegels, beim geringsten Nadelstich."

Die Allgegenwärtigkeit des Todes akzeptieren; das ist die Botschaft. "Philosophieren heißt sterben lernen", hat Montaigne diesen Essay genannt. Ihn zu lesen hilft (mir) immer über Phasen der Verzweiflung hinweg. Meine Lieblingsstelle darin ist die vom Ende des Sokrates: "Als man zu Sokrates sagte, die dreißig Tyrannen haben Dich zum Tode verurteilt, erwiderte er: Und die Natur sie!" Denn, so Montaigne weiter, "wie unsere Geburt für uns die Geburt aller Dinge war, so wird unser Tod uns der Tod aller Dinge sein". Ganz im Sinne der Theorie UNSERES Hausphilosophen von der Akzeptanz der Allgegenwart des Todes zum Zwecke der Überwindung seines Schreckens hab ich mir schon eine Endzeitmusik für meine Einäscherung ausgesucht: "The end of laughter and soft lies, the end of nights we try to die - this ist the end" (The Doors).

Rein: Taschenkalender grau und eine Tüte getrocknete Mangofrüchte (meine Weihnachtsgratifikation vom Zentralkomitee der taz).

Raus: Taschenkalender grau (ich hatte schon zwei andere).

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