Kolumne Älter werden: Vor dem Fernseher heulen
Pop ist nicht mein Ding. Sein König auch nicht so sehr.
L iebe Altersgenossinnen und -genossen der Generation 50 plus links. Ich gestehe, dass ich nicht spontan geweint habe, als ich im Autoradio hörte, dass unser Alterskamerad, der King of Pop, Michael Jackson, gestorben ist. Und auch die Trauerfeier mit der Leiche im goldenen Sarg des zu seinen Lebzeiten auf eigenen Wunsch bis zur Unkenntlichkeit schön operierten Entertainers konnte mich nicht zu Tränen rühren, weil ich sie mir nicht angesehen habe. Einen Tweet zu Jackson - wie angeblich 80.000 andere Menschen pro Stunde - habe ich auch nicht geschrieben; und das nicht allein deshalb, weil ich nicht weiß, wie das geht.
Das mag daran liegen, dass ich mit dem zur Show gestellten Infantilismus (Peter Pan) und auch der Musik von Jackson nie viel anfangen konnte; Pop ist nicht mein Ding. Und Gottesdienste - die Trauerfeier für die amerikanische Legende (Sheila Jackson Lee) war ja wohl eine Art Gottesdienst - besuche ich prinzipiell nicht; schon gar nicht im Fernsehen (Knierutscherei-TV). Allerdings verstehe ich überhaupt nicht, warum Jacksons eigentliche - indirekte - soziale Großtat bislang noch von keinem der vielen Feuilletonisten und Musikkritiker (Jede Zeitung findet größere Verbreitung durch Musikkritiker. Georg Kreisler), die nach dem Tode von Jackson ganze Textgebirge produzierten, angemessen gewürdigt wurde. Mit Billy Jean und Thriller nämlich animierte der Dichter und Sänger Millionen von Ghettokids aller Kontinente mit und ohne Migrationshintergrund doch dazu, wenigstens temporär der Gewalt abzuschwören, sich als Breakdancer zu versuchen und auch noch den Moonwalk zu proben. Das verschaffte älteren Menschen mit Handtaschen und Sozialarbeitern bis in die späten 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein längere Schonzeiten und steigerte bei Pensionisten generell das subjektive Sicherheitsgefühl. Carrying a gun (Lou Reed) -das war vorgestern. Jetzt wurde in den Straßen von San Francisco, auf dem Sunset Boulevard in L. A. und im Rüsselsheimer Stadtteil Dicker Busch plötzlich getanzt. In den schicken Trainingsanzügen war ja auch gar kein Platz mehr für eine Kanone; und beim rasanten Kreiseln auf dem Allerwertesten störte das Butterflymesser nur. Danke dafür, Michael!
Ach ja. Vor dem TV spontan geweint habe ich vor ein paar Tagen doch - vor Zorn und Wut und aus Mitleid. Da ging es um das würdelose Streben alter Menschen in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Bilder von verwahrlost aussehenden Männern und Frauen ohne Zähne wurden gezeigt, die sich in ihren Betten wundgelegen hatten und die an diesen Verletzungen gestorben sind. Ein Hamburger Pathologe klagte tausende solcher Fälle an. Getwittert hat danach niemand. Und eine Trauerfeier gab es für diese einsam zu Grunde gegangenen Opfer der deutschen Gesundheitspolitik auch nicht. Aber wenigstens ich bin nun gerade (wieder) mit meinen Gedanken bei ihnen; und Sie jetzt auch. Arbeiten wir gemeinsam hart daran, dass the world a better place (Michael Jackson) wird.
Klaus-Peter Klingelschmitt ist Korrespondent der taz in Frankfurt. Das Bild zeigt ihn als Gitarrist der Rockgruppe Dreadful Desire im Jahre 1969.
Rein: Bruce Spingsteen, Magic und The Rising. Hey Boss. Danke dafür, dass du mir die fast schon verloren gegangene Freude an der Rockmusik zurückgegeben hast! Raus: Nix.
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