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Kolumne Älter werdenGott sei Dank, Atheist

Dass wir das noch erleben müssen. Der Zombie Religion steht wieder auf und lässt sich als Popstar feiern.

D ass wir das noch erleben müssen, liebe Freundinnen und Freunde der Generation 50 plus links: Dass der ganze, doch eigentlich - Gott sei Dank! – längst auf der roten Liste der untauglichen, und deshalb zurecht im Aussterben befindlichen Entwürfe zur individuellen und kollektiven Bewältigung des Lebens, in das wir hineingeworfen wurden wie ein Hund ohne Knochen( Riders on the storm/Doors), stehende Reliquark, plötzlich wieder Resurrektion feiert. Und das selbst noch in dieser, in einer nach dem Weltrevolutionär Rudi Dutschke umbenannten Strasse residierenden, lange tapfer die Fahne des aufgeklärten Atheismus und der Freiheit hoch in den Himmel über Berlin reckenden kleinen, erst 1979 gegründeten Vereinszeitung der Allianz reformpädagogisch orientierter, antiklerikaler Anarchisten und Kommunisten, deren Symbol die (Weinberg-) Schnecke ist.

Dort werden wir von My Generation neuerdings mit Sätzen wie: Mit dem Kopftuch fühle ich mich näher bei Gott! oder der absurden Frage nach der Reformkraft der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils (!?) konfrontiert. Mehrfach wurden uns Mitte Mai gar Sonderseiten zum Ökumenischen Kirchentag aufgenötigt, für den sich zuletzt doch nur noch ein paar Ethnologen und Kirchenhistoriker interessiert hatten. Zum Popstar des Jahres kürten die (Medien-) Gläubigen aller christlichen Sekten dann die konkurrenzlos zur Wahl angetretene Ypsi der Reformierten, weil die sich zu der außerhalb jeglicher Begreiflichkeit (Helmut Kohl) stehenden Einlassung hatte hinreißen lassen, dass sie mit den Taliban in einem Zelt für den Frieden in Afghanistan beten wolle, auch wenn sie sich damit lächerlich machen sollte. Wir jedenfalls haben da schon einmal herzlich (vor-) gelacht. Herr, erbarme Dich!

Viele der frommen Gotteskrieger hätten sich dann aber tatsächlich per Handy bei der ehemaligen Bischöfin zum Gebet und auch zu dem sich anschließenden interreligiösen Abendmahl angemeldet, hieß es aus dem Mund berufener Kirchengreise. Schließlich versteht Maggie Christ Superstar ja auch `was von (Mess-) Wein. Und vom Verkehr in (fast) jeder Beziehung. Die Antibabypille sei gottgewollt rief sie ihren, sich in München die Hufe wund applaudierenden Schäfchen von der Kanzel herab dann auch noch zu. Finale furioso! Dem anwesenden papsttreuen Oberhirten Marx - der heißt wirklich so -, flog denn auch umgehend sein Rotkäppchen vom massigen Schädel.

Bild: taz

K.-P. Klingelschmitt 1970

Exkurs: Bislang hatte ich geglaubt, dass die Pille 1951 von dem US-Pharmakologen Carl Djerassi (Syntex) erfunden wurde, der an einer Latexallergie litt. Der Mann soll danach allerdings tatsächlich göttlich gut drauf gewesen sein: Sex mit einer Parfümverkäuferin, da geht`s vibrationmäßig ab und zwar wie nix (Pigor & Eichhorn).

Wie auch immer: Dort, wo all diese komischen Leute ihrem Aberglauben nach meinen, eines fürchterlichen Tages wieder auferstehen zu müssen – ob in irgendeinem christlichen Himmel oder einem 7. islamischen (wo den Märtyrern angeblich gleich 77 Jungfrauen permanent einen blasen) -, möchten wir ohnehin einmal nicht sein. Herr, erbarme Dich also auch unser! Und wirf – breit gestreut – wieder einmal ein bisschen Hirn herab.

Ach so. Gerade nix zu machen. God `s away on business (Tom Waits). Oder wie es in einem Aphorismus von Lichtenberg zum Thema heißt: Ich danke es dem lieben Gott tausendmal, dass er mich zum Atheisten hat werden lassen.

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8 Kommentare

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  • DH
    Dr. Harald Wenk

    @Peter VOßwinkel

    Habermas und der Joas Artikel:

    Es ist schon gerdezu amüsant, wie in der Naturalismus Debatte und der zentralen Willensfreiehit Debatte, auch von Roth und Singer, der in beiden Artikeln den Hauptgegenstand ausmacht, sich um den Erfinder und Konzeptor des Naturalismus herumgedrückt wird: SPINOZA.

    Der Naturlismus heisst: Leib-Seele als Neurologie und Psychologie.

    Spinoza hat auch als einziger die Willensfreiht geleugnet, das Unbewusste per Neurlogie erfunden, und damit den unsäglichen Hass von allen, die irgendwie mit Moral, die von Religion inspiriert ist

    argumentieren, auf sich gezogen.

    Es ist, wie kritische Ökonmie zu diskutuieren, ohne Marx zu erwähnen.

    Spinoza kennt aber ein ewiges Leben, ein "materialistisches", wissenschaftliches.

    Das möchte wohl niemand. Ewiges Leben ohne Religion und Religionskrtik als Entlarvung als Antromorphimusm Illusion, die tödlichste, die es je gegeben hat: "der imaginäre Rabenvater im Himmel".

    Ohne das Bedürfnsuinis nach Unsterblichkeit der Seele, das auch Freud dem Unbewussten zuschreibt, versteht man die Bedeutung des Glaubens auch heute überhaupt nichts. Wie jemand, der keine Sexbedürfnisse hat, staunend und unverständig vor den menschlciehn Beziehungen steht.

    Man sollte den Unsterblichkeitskomplex nicht verdrängen, sondern sich rüsten. Nicht durch glauben, sondern freudiges Wissen.

  • O
    otto

    Danke, Freund!

  • F
    freidenker

    Danke Herr Klingelschmitt.

     

    Ich hoffe dieser Gegenpol ist keine einmalige Erscheinung in der in letzter Zeit sehr heruntergekommenen Taz (trotz göttlicher Themen).

  • RP
    Rita Pavoni

    Sorry. Wollte schon vor einer Woche sagen: Danke für den Kommentar. Das Kreuz mit dem Kreuz und der Trouble mit dem Tuch waren in den Wochen davor echt too much. Dann wenigstens ein ehrlicher Atheist. Gottseidank.

  • V
    vic

    Danke K.-P.

    Ein unterhaltsamer Text für einen Ungläubigen wie mich, gerade nach dem Kirchentags-Hype.

  • SG
    Stephan Goebel

    Schön, dass anscheinend doch nicht die Christen die (einst?) linke taz übernommen haben. Daran hatte ich nach den 8-Seiten-Kirchentagsbeilagen schon fast gezweifelt. Die haben der Kirche mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als sie verdient. In die taz gehört so viel Aufmerksamkeit sicher nicht.

  • PV
    Peter Voßwinkel

    Mein 84-jähriger Vater aus dem Sauerland, der gerade die Kirchenzeitung abbestellt hat, um das Geseire nicht länger ertragen zu müssen, taz-Intensivleser, (… die einzige Zeitung in der noch was steht!), erkundigte sich verwundert bei mir, ob denn jetzt irgendeine Fusion stattgefunden habe (SCHWERPUNKT KIRCHENTAG), von der wir nichts wussten?

     

    Dann wies er mich hin auf: El oficio de ser libre von Peter Bieri, auf deutsch: Das Handwerk der Freiheit - Über die Entdeckung des eigenen Willens, ob das denn nicht ein besseres Thema für "… unabhängigen, kritischen, aber auch unterhaltsamen Journalismus" sei?

     

    Er erinnerte mich an Jürgen Habermas: Zwischen Naturalismus und Religion: Philosophische Aufsätze, dort sei etwas zu lesen über:

     

    "Zwei gegenläufige Tendenzen kennzeichnen die geistige Situation der heutigen Zeit: Mit den Fortschritten etwa in Biogenetik und Hirnforschung dringt eine naturwissenschaftlich objektivierte Selbstauffassung von Personen auch in alltägliche Handlungszusammenhänge ein. Damit verbindet sich für die Philosophie die Herausforderung eines szientistischen Naturalismus. Auf der anderen Seite ist eine Revitalisierung von Glaubensüberlieferungen und die Politisierung von Glaubensgemeinschaften zu beobachten. Daraus erwächst für die Philosophie die Herausforderung einer fundamentalistischen Grundsatzkritik am nachmetaphysischen Selbstverständnis der westlichen Moderne. Jürgen Habermas lotet das Spannungsfeld zwischen Naturalismus und Religion aus. Er plädiert einerseits für ein angemessenes naturalistisches Verständnis der kulturellen Evolution, das dem normativen Charakter des menschlichen Geistes Rechnung trägt, andererseits für eine adäquate Deutung der Säkularisierungsfolgen einer kulturellen und gesellschaftlichen Rationalisierung."

     

    Hans Joas hat seinerzeit dazu in der Zeit einen erschließenden Artikel veröffentlicht. http://www.zeit.de/2005/42/ST-Habermas-TAB

     

    Wie alte Menschen so sind, trug er mir dann noch Lenore vor, die Ballade von dem deutschen Dichter Gottfried August Bürger. Sie entstand im Jahre 1773.

     

    Sie beginnt mit Gott zu hadern und sagt, dass er ihr nie etwas Gutes getan habe. Die Mutter bittet um Vergebung für ihre Tochter, …

     

    In der Einleitung wird der Sachverhalt dem Lesenden nahegebracht und verständlich gemacht.

     

    Der König und die Kaiserin,
 - Des langen Haders müde,
 - Erweichten ihren harten Sinn
 - Und machten endlich Friede;

     

    Der zweite Teil der Ballade besteht aus einem Dialog zwischen der Mutter und Lenore. Der Dialog dreht sich um Wilhelm und Gott. Lenore hadert, aufgrund des schweren Schicksalsschlages, mit Gott und beschimpft ihn, die Mutter versucht ihre Gotteslästerung zu stoppen und sagt, dass Wilhelm wohl in Ungarn eine andere Frau gefunden habe und das sie von ihm loslassen solle.

     

    "Hör, Kind! Wie, wenn der falsche - Mann Im fernen Ungerlande
 - Sich seines Glaubens abgetan
 - Zum neuen Ehebande? ---"

     

    Lenore lässt sich davon jedoch nicht beruhigen, weiters sagt sie, dass das einzige was sie trösten könnte der Tod sei.

     

    „O Mutter! was ist Seligkeit?
 - O Mutter! was ist Hölle?
 - Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit,
 - Und ohne Wilhelm, Hölle!
 - Lisch aus, mein Licht! auf ewig aus!“

     

    In dem dritten Abschnitt kehrt Wilhelm als Geist wieder, und überredet seine Verlobte dazu mit ihm zu reiten, da er sie in ihr Hochzeitsbett bringen will. Nach der Einleitung und dem Dialog sorgt der dritte Teil für die Spannung und dem dramatischen Aspekt in der Ballade. Nach der Aufforderung von Lenore in das Haus zu kommen, antwortet Wilhelm:

     

    „Ich darf allhier nicht hausen!
 - Komm, schürze, spring und schwinge dich - Auf meinen Rappen hinter mich!
 - Muß heut noch hundert Meilen
 - Mit dir ins Brautbett eilen.“

     

    Am Ende der Ballade stirbt Lenore aufgrund ihrer Lästerung und ihre Seele wird für ihre Sünden gerichtet („Gott sei der Seele gnädig!“). Vielleicht bereut sie sogar ihre Sünde, sie weiß jedoch auch, dass es für Reue jetzt zu spät ist. So wie es, zumindest laut Gottfried Bürger, jedem Gotteslästerer ergehen wird.

     

    "Wer einen Krieg der Kulturen vermeiden will, muss sich die unabgeschlossene Dialektik des eigenen, abendländischen Säkularisierungsprozesses in Erinnerung rufen." Jürgen Habermas

     

    So gesehen fischt die taz in falschen Teichen. Danke für diese Kolumne.

     

    Beste Grüße, derzeit aus Shanghai.

    Peter Voßwinkel

  • RB
    Reto Bucheli

    Die Kolumne hat richtig gutgetan und hätte nach den ganzen Schlagzeilen auf Seite 1 und der der Kirchentaz aus Gründen der Fairnis ebenfalls auf Seite 1 veröffentlicht werden sollen. Es war sehr angehmen zu wissen, dass sich auf dem Schiff das sich taz nennt, sich noch nicht alle in Gottes Hand wähnen, sondern dass es auch noch ein paar mit eigenem Hirn und Verstand gibt.