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■ Kolumbiens Regierung verhängt den AusnahmezustandFlucht nach vorn und Rolle rückwärts

Kolumbiens Präsident Ernesto Samper steht mit dem Rücken zur Wand. Seine Zukunft als Präsident hängt nur noch am seidenen Faden, nachdem immer mehr Indizien dafür sprechen, daß sein eigener Wahlkampf von der Drogenmafia finanziert wurde. Die Konsequenz, die Samper aus dieser Notlage zieht, ist nur logisch: Nach den Erfolgen der letzten Wochen, als ein Chef des Cali-Kartells nach dem anderen verhaftet werden konnte, soll jetzt der Ausnahmezustand signalisieren, die Regierung wolle noch einmal konzentriert gegen das Verbrechen angehen.

Das ist schon Sampers zweite Flucht nach vorn in wenigen Wochen. Ende Juli war sein ehemaliger Wahlkampf-Schatzmeister Santiago Medina verhaftet worden. Samper selbst geriet immer mehr unter Druck – und ordnete schließlich selbst eine parlamentarische Untersuchung seiner eigenen angeblichen Verwicklung in den Drogengeld-Skandal an.

Der jetzt verhängte Ausnahmezustand dürfte in seinen Auswirkungen Augenwischerei sein. Jene Sondereinheit der Polizei, die in Cali so erfolgreich agiert hatte, hätte auch ohne Ausnahmezustand in die Hauptstadt Bogotá verlegt werden können. Und daß in diesem Jahr bereits fast 20.000 Menschen in Kolumbien umgebracht worden sind, weiß der Präsident nicht erst seit vorgestern. Wenn der 90tägige Ausnahmezustand – den der Präsident zweimal um die gleiche Zeit verlängern kann – gerade jetzt verhängt wird, dann jedenfalls nicht, weil gerade jetzt die Kriminalitätskurve so steil ansteigen würde.

Zumal der Umgang mit den Zahlen von Morden und Entführungen durchaus zweifelhaft ist. Noch im vergangenen Jahr hatte amnesty international in einem weltweit veröffentlichten Bericht darauf aufmerksam gemacht, daß just Militär und Polizei für die überwiegende Anzahl der politischen Morde in Kolumbien verantwortlich seien. Ernesto Samper hatte, als er vor einem Jahr sein Amt antrat, noch eine Verbesserung der Menschenrechtssituation zugesichert – doch schon im April diesen Jahres konstatierte die nationale Organisation Cidep, die Zahl angezeigter Menschenrechtsverletzungen habe sich trotz aller Ankündigungen nicht verringert. Schon die Erfolge gegen die Drogenmafia haben Militär und Polizei gestärkt – der Ausnahmezustand setzt sie vollends ins Recht. Was den Präsidenten für den Moment aus der Schlinge retten mag, wirft die ohnehin zaghaften Versuche, sowohl im Umgang mit den verschiedenen Guerillas als auch mit den Drogenkartellen Rechtsstaatlichkeit zu wahren, auf unbestimmte Zeit zurück.

Der Mord an dem Fußballer Andrés Escobar im vergangenen Sommer hat auf drastische Weise verdeutlicht, wie sehr die Gewalt in Kolumbien nicht nur Teil der politischen Auseinandersetzung, sondern ein gesellschaftliches Ausdrucksmittel überhaupt geworden war. Andrés Escobar hatte durch ein Eigentor das Ausscheiden Kolumbiens aus der Weltmeisterschaft bewirkt und war wenige Tage nach seiner Rückkehr nach Medellin auf offener Straße erschossen worden. So mancher mag argumentieren, daß in einer solchen Situation Rechtsstaatlichkeit hinter der Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols, ja staatlicher Handlungsfähigkeit überhaupt, zurückzustehen habe. In einem Land aber, dessen Präsident im Verdacht steht, selbst mit Hilfe der Drogenmafia an die Macht gelangt zu sein, und wo alle paar Wochen neue Dokumente zutage gefördert werden, wie sehr nahezu alle Kreise der gesellschaftlichen Elite in Korruption, Drogenhandel und illegale Geschäfte verwickelt sind, kann eine solche Stärkung der vorbelasteten bewaffneten Institutionen kein Fortschritt sein. Bernd Pickert

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