Koksfilm: Arme, reiche Schweizer Jugend
Dosenweise Kokain macht auch nicht glücklich. Das und den Weg zur Erkenntnis zeigt uns "Snow White", der Film des Züricher Regisseurs Samir.
D er aktuelle Drogenbericht der Bundesregierung bescheinigt Deutschlands Jugendlichen ein Talent zur Sparsamkeit: Weniger Erstkonsumenten harter (und kostspieliger) Drogen wie Heroin und Kokain, weniger Zigaretten, die auch ständig teurer werden, dafür eine deutliche Zunahme von Komabesäufnissen auf Flatrate-Partys, wo gilt: einmal zahlen, dann Bechern bis zum Umfallen. Solche Nöte scheint man in der Schweiz nicht zu kennen. Dort reichen die Kinder von Bankdirektoren wie selbstverständlich Puderdosen voller Kokain unter ihren Partygästen herum, während man sich am Swimmingpool räkelt und den Blick von seiner "Goldküsten"-Villa aus über den Zürichsee schweifen lässt. Und wenn gesoffen wird, dann nur Champagner.
Zürich ist "Zureich": Der berühmte Hausbesetzer-Spruch wird in Samirs "Snow White" natürlich auch einmal kurz eingeblendet, allerdings im Zustand seiner Demontage: Dokumentaraufnahmen zeigen des Abriss des besetzten Wohlgroth-Gebäudes Anfang der Neunziger. Heute hat die Jeunesse dorée anscheinend keine sozialen Alternativen mehr im Sinn, stattdessen wird tüchtig hedonisiert. Nico (Julie Fournier) ist solch ein Party-Girlie, das im Sportcoupé vorfährt und an Türstehern vorbeigewunken wird. Ihr Vater trägt Nadelstreifen und ist nie zu sprechen, ihre geschiedene Mutter hat sich in eine umfassende Neurose geflüchtet und spielt Golf. Da wir Nico aber zu Beginn des Films bereits apathisch, sprachunfähig und mit kurz geschorenem Haar in einer Privatklinik sehen konnten, ist das Ende nur noch etwas, was erwartet wird wie eine Ziellinie. Der Weg dorthin ist kurvig: Drogenexzesse, Prostitution, messerstechende Schuldeneintreiber, vom Vater verstoßen, vom Freund missverstanden, die beste Freundin nackt und tot auf einem teuren Sitzmöbel. Armes, reiches Mädchen.
Auch dieses Schneewittchen hofft insgeheim auf den Prinz, der sie aus ihrem Glassarg befreit. Doch der sträubt sich zunächst. Paco (Carlos Leal, Sänger der Schweizer Hiphop-Combo Sens Unik) ist ein Rapper mit dem Nummer-eins-Hit in der Tasche und der Wut gegen das Establishment im Bauch. Um Paco mit seiner klassenkämpferischen Weltansicht zu gefallen, verleugnet die so hoch geborene wie unglückliche Nico gar ihre Herkunft. Das kann nicht lange gut gehen und das geht nicht lange gut, trotz der in Zwischentiteln eingeblendeten sommerhellen Postkartenansichten der schönen Schweizer Landschaft.
Der irakstämmige Schweizer Regisseur Samir, bekannt vor allem als Dokumentarfilmer ("Forget Baghdad") und einer der Gründer des Züricher Filmkollektivs "Videoladen" ("Züri brännt"), sagt, er wollte keinen Antidrogenfilm machen und keinen Zeigefinger erheben. Das haben offenbar nicht alle so verstanden. Ein großer Antidrogen-Verein hatte ursprünglich angeboten, die unterfinanzierte Low-Budget-Produktion zu unterstützen, was der Filmemacher dann doch dankend ablehnte. Dennoch bleibt in der Passionsgeschichte einer tief Gefallenen ein moralisierender Unterton sowie ein unglücklicher Hang zur symbolischen Überdeutlichkeit auf Kosten des Wahrscheinlichen: Wenn sich "Snow White" am Ende mit einem Sprung durchs Glas aus ihrem Eispalast befreit, schafft sie sportlich ausgezeichnete zwanzig Meter. Der Film schüttelt jede Menge solch visueller und erzählerischer modischer Tricks aus dem Ärmel: Split Screen, unmittelbare Ansprache der Zuschauer, Kombinationen von Video- und Filmmaterial, Drehbuchellipsen. All das wird nicht unsympathisch, aber letztlich schematisch und behäbig eingesetzt, was mit dem dramatischen Auf und Ab der Geschichte, ihren Exzessen und ihrem Pathos in merkwürdigem Kontrast steht.
"Snow White", Regie: Samir. Mit Julie Fournier, Carlos Leal. Schweiz/Österreich 2005
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!