Koichiro Uchida über Waldkindergärten: "Japan ist ein technikgläubiges Land"
Kinder müssen selbst etwas unternehmen, ist Koichiro Uchida überzeugt. Der Japaner versucht mit seinen Waldkindergärten das japanische Umweltbewusstsein zu fördern.
taz: Herr Uchida, Sie haben vor 30 Jahren in Japan einen Waldkindergarten gegründet. Was wollten Sie damit erreichen?
Koichiro Uchida: Ich wollte mit Kindern eine nachhaltige Lebensweise einüben. Und das von klein auf. Wir pflegen in Japan ein sehr abschätziges Verhalten zur Natur, wir haben sie richtig weggeworfen. Der Waldkindergarten sollte aber auch pädagogisch etwas Neues sein. Die Kinder und ihre Ideen stehen im Mittelpunkt. Das heißt, es geht auch um ein anderes Lernen.
Was meinen Sie damit?
Es ist die Frage, wie man lernt. Uns war wichtig, die naive Natur- und Welterfahrung der Kinder zu berücksichtigen, also ihr vorurteilsfreies und unvoreingenommenes Herangehen an die Dinge. Die Kinder müssen selbst denken und selbst etwas unternehmen. Wir legen auf das handwerkliche Tun sehr viel Wert und bevorzugen dabei natürliche Materialien. Die Erwachsenen nehmen eine wichtige Rolle ein: Sie unterstützen die Kinder bei ihren Aktivitäten. Es ist wichtig, dass die Kinder spüren, dass sie mit den Erwachsenen eine Gemeinschaft bilden.
Wie sieht ihr Waldkindergarten aus?
Er steht mitten im Wald, wir können jederzeit mit den Kindern in den Wald gehen.
Koichiro Uchida ist 57 Jahre alt und kam zur Arbeitstagung des "Bundesverbandes der Natur- und Waldkindergärten" nach Jena. Er hat einen privaten Waldkindergarten in Nagano.
In Deutschland ist es meistens so, dass die Kinder gar kein festes Gebäude mehr haben. Sie starten jeden Morgen von einem Unterstand oder einem Bauwagen aus mit einem Leiterwagen in den Wald.
Ja, das ist eine interessante Variante des Waldkindergartens. Als ich das erste Mal in den 1980er Jahren Deutschland besuchte, habe ich diese mobile Form des Waldkindergartens nicht gesehen. Ich habe mir auch jetzt wieder viele Einrichtungen angesehen. Am meisten hat mir dabei ein Waldkindergarten in Kiel imponiert: Er lag direkt zwischen dem Wald und dem Meer. Die Kinder konnten zwischen ganz verschiedenen Aktivitäten wählen - aber es war allen Gruppen gemeinsam, dass die Kinder sehr aktiv in die Planung ihrer Unternehmungen einbezogen waren. Das ist so ähnlich wie bei uns.
Waldkindergärten haben etwas Konservatives und etwas Bewahrendes, indem sie die Natur erkunden und wertschätzen, aber sie beinhalten auch eine sehr moderne Auffassung des selbstgesteuerten und forschenden Lernens. Welches Moment überwiegt in ihrem Waldkindergarten?
Ein Wagen hat immer zwei Räder. Beide brauchen wir, wir können auf keines verzichten.
Wie erfolgreich ist die Waldkindergartenbewegung in Japan?
Es gibt heute ungefähr 150 Waldkindergärten, das heißt, die Idee hat sich nicht so schnell verbreitet wie in Deutschland …
… wo es über 1.000 Waldkindergärten und inzwischen mehrere Verbände gibt.
Die moderne japanische Gesellschaft hat wenig Bezug zum Wald. Japan ist ein sehr technikgläubiges Land. Die Vorstellung, ihre Kinder auf eine so nicht traditionelle Einrichtung wie einen Waldkindergarten zu schicken, fällt den Menschen nicht leicht. Wir hatten gehofft, dass Bewusstsein der Menschen zur Natur zu verändern - aber das ist nicht einfach.
Was bedeutet der schwere Atomunfall von Fukushima für Ihre Bewegung?
Ich finde, dass dieses schreckliche Unglück unsere Sicht auf die Natur leider bestätigt hat. Wir brauchen auch heute Nähe zur Natur und eine nachhaltige Lebensweise, die zum Beispiel den Energieverbrauch deutlich senkt. Ich empfinde schon lange eine Art Krisengefühl; wie Japaner mit eigener naturnaher Tradition umgehen. Für mich war es in den 1980er Jahren, als ich Deutschland besuchte, ein sehr wichtiges Erlebnis zu sehen, dass man auch ganz anders mit Kindern in der frühkindlichen Bildung arbeiten kann - traditionsbewusst und nachhaltig.
Wie haben Sie auf den GAU von Fukushima reagiert?
Wir bieten den Kindern aus der Umgebung von Fukushima an, in unseren Kindergärten die Natur wieder anders zu genießen. Die Bewohner der Gegend sollen wegen der Strahlungsgefahr ihre Häuser möglichst wenig verlassen. Die Gemeinschaft der Waldkindergärten versucht, diesen Kindern die Naturerfahrung wiederzugeben.
Leser*innenkommentare
guntherkummerlande
Gast
Es ist sicherlich schwierig zwischen
Pest (normaler Kindergarten) und Cholera
(Waldkindergarten) zu entscheiden.
Gibt es denn eigentlich keine normalen
Erziehungsmethoden in der Kindererziehung?
Seit der Nachkriegszeit gibt es nur noch schlechte
Erziehungsstile.
Nachteile herkömmlicher Kindergärten:
- giftiges Spielzeug, giftiges Wohnmobiliar
- zuviel Lärm (schädlich für ErzieherInnen
und Kinder)
- zuviele Kinder auf engsten Raum
- Persönlichkeitsdeformation durch Tyrannentum,
sexueller Gewalt der Kinder auch untereinander
- "Lieblingskinder" der ErzieherInnen
- einseitige Erziehungshoheit der Frauen gegenüber
den Knaben (keine männlichen Vorbilder)
- unausgereifte kognitive, individuelle Förderung
- fehlende gesundheitliche Abhärtung
Nachteile der Waldkindergärten
- Gefahr von Fuchsbandwurm, Zeckenbefall(FSME,
Borreliose)
- Gefahr des Verzehrs giftiger Früchte
- fehlender Schutz vor Kriminellen und
totale Abhängigkeit gegenüber Erzieher/in
- da kein Umgang Werkzeug erlaubt, können die
Kinder nicht wirklich viel machen
- kaum echte eigene Entfaltungsmöglichkeiten
- in Japan: Gefahr des radioaktiven Fall-outs
auch in Wäldern möglich
Kinder sollten sowohl in der Natur als auch
in der Zivilisation sich zurechtfinden können.
Deshalb sind ein obligatorischer Besuch
der Polizei, der Feuerwehr, Krankenhaus,
Schule, Universität, Gericht,
ein paar Abstimmungsverfahren innerhalb der Gruppe,
ein paar Wildreservatebesuche,Theaterbesuche
und ein paar Museumsbesuche absolute Grundpflicht,
wenn sie sich von den gestrigen Pfuschertum
abheben will.
In die frühkindliche Erziehung sollte
der Instrumenten-und Gesangsunterricht einsetzen.
Zeichnen und Bastelmöglichkeiten müssen auch
von anfang an das naturalistische Zeichnen
Schritt für Schritt kindgerecht anstreben.
Dieses geistige Reifestadium sollte nicht
ungenutzt belassen werden.
Als Gemeinschaftsprojekt könnte man
den "Garten Eden" mit eigenen Planungsparzellen für
jedes Kind in Angriff nehmen, wo durch eine
zusätzlich von Hand ausgeführte Feldbestellung
die muskuläre Entwicklung und die Zähigkeit
verbessert wird.
Die Laubenanlagen könnten unter Aufsicht der Erwachsenen kindgerecht gefertigt und von Kindern
produziert werden. Ein kollegialer Umgangsstil
sollte den Kindern früh beigebracht werden mit
eigenen kleinen Taschengeldverdienst (vom Kindergeld
entlohnt), um die Selbstständigkeit zu verbessern.
So sähe ordentliche Erziehung aus.