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Archiv-Artikel

Körperkomplizinnen

Jede Bewegung hinterlässt ihre Spur: Claire Denis’ Dokumentation „Vers Mathilde“ (Forum) zeigt die Arbeit der Choreografin Mathilde Monnier und entwickelt eine ganz eigene Nähe zum Tanz

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Dunkelheit, Dämmerung: Wie sich in den Bildern impressionistischer Maler die Farbpunkte erst allmählich zum Raum zusammensetzen, schält sich erst langsam die Kontur von Körper und Bewegung aus den grobkörnigen Bildern, mit denen Claire Denis’ Film „Vers Mathilde“ beginnt. Bilder einer Super-8-Kamera, man hört das Geräusch des Kameramotors: Hände, nur Hände schieben sich vor und ziehen sich zurück. „Jede Bewegung“, sagt eine Stimme, „hinterlässt eine Spur im Raum, wie ein Kratzer.“ Und so sind, was wir sehen, winzig kleine Momente der Schöpfung.

Die Bewegung, die sich in den Raum einschreibt und ihn dadurch erst hervorbringt, das ist ein großes Thema des zeitgenössischen Tanzes. In Claire Denis’ Film über die Choreografin Mathilde Monnier sucht deshalb die Kamera (Super-8 und Super-16, geführt von Agnès Godard und Héléne Louvart) die größtmöglichste Nähe zum Körper, um mit ihm an dieser Erkundung des Raums teilzunehmen. Eine sehr ungewöhnliche Perspektive, zumal, wenn es um Tanz im Film geht: nicht den Überblick suchen, nicht die Bühnentotale, nicht die Ordnung des Raums. Vielmehr schmiegt sich der Blick an, folgt oft den Händen oder den Füßen allein und bringt uns so der Logik der Körper immer näher. Sieht man dann Mathilde Monnier beim täglichen Warming-up, wie sie von Impulsen aus Ellenbogen, Schultern und Handgelenken zu sich dauernd verändernden Bewegungsflüssen findet oder wie einer der Tänzer ihres Ensembles sich in Spiralen um immer wieder andere Drehpunkte seines Körpers schraubt, beginnt man zu begreifen, welche Freiheit ihre Bewegungsforschung ermöglicht.

Die Bewegung bringt in Denis’ Film auch ihren eigenen Ton hervor: Manchmal hört man nur das Reiben des Stoffs an den Hosenbeinen als akustische Spur oder das Flattern von Latexwänden, gegen die die Tänzer springen: Latex, ein unsicherer Grund, der keinen Bewegungsfluss mehr zulässt, sondern zu unvorhersehbaren und überraschenden Aktionen führt. Körper zeichnen sich durch diese künstliche Haut ab, brechen daraus hervor. Oft ist nur ein Flüstern zu hören, komplizenhaft, konspirativ. Die Choreografin, die ihre Tänzer beobachtet, flüstert mit der Regisseurin. Tatsächlich werden sie mehr und mehr zu Komplizinnen, eingeschworen auf die zurückhaltende, genaue Beobachtung, verbündet gegen Erklärung, Kommentar oder gar Konventionen des Erzählens. So wie die Choreografin an der Unabhängigkeit der Bewegung von jedem Muster der Deutung arbeitet, sucht auch die Regisseurin nach der physischen und sinnlichen Präsenz im Bild. Einmal liest Monnier mit ihren Tänzern die Erzählung „Lenz“ von Georg Büchner, aber nicht, um die Geschichte auf der Bühne nachzuerzählen: Sie verlangt von den Tänzern, ihren eigenen Weg durch innere Bilder und Landschaften zu finden.

Seit 1993 leitet Mathilde Monnier das Centre Choreographique National de Montpellier, das nicht zuletzt für das Ausbildungsprogramm, das Monnier entwickelt hat, großes Ansehen genießt. Viele der Stücke, der sie für ihre elfköpfige Kompagnie entwickelt, werden europaweit auf Festivals eingeladen. Sie hat mit dem Komponisten Heiner Goebbels zusammengearbeitet und dem Videokünstler Karim Zeziahem. Ihr Status als bekannte Künstlerin aber spielt in Denis’ Film keine Rolle; das Publikum, die Öffentlichkeit oder die Städte, in denen Monnier arbeitet, sind im Film nicht existent. Das macht den Zugang nicht gerade einfach.

Ganz sicher aber gehört zu den besten Eigenschaften des Films, dass er nie versucht, Aufführungsersatz zu sein, sondern eine ganz eigene Nähe zum Tanz zu entwickeln. Man sieht zwar wunderschöne Ausschnitte aus Monniers Stücken: Etwa aus „Déroutes“, für das sich die Tänzer mit Büchners „Lenz“ auseinander gesetzt haben, oder aus „Slide“, bei dem sie über Videoprojektionen ihres eigenen Tanzes wie über Eis gleiten. Das Ganze einer Aufführung kann man sich aus diesen Ausschnitten nie vorstellen. Aber dem Geist, der Lust auf den Körper, aus dem sie entwickelt wurden, ist man dafür so nahe wie selten.

„Vers Mathilde“: 14. 2., 16.30 Uhr, Delphi; 15. 2., 20.15 Uhr, Arsenal; 16. 2., 12.45 Uhr, CinemaxX 3; 19. 2., 14 Uhr, Delphi