piwik no script img

Archiv-Artikel

„Körper und Seele sind nicht trennbar“

Wenn Schmerzen chronisch werden, ist Heilung kompliziert. Dann beginnt ein neues Kapitel in der Behandlung

taz: Frau Bayanifar, Sie praktizieren seit 1999 als Schmerztherapeutin in Bremen. Wann suchen Menschen Ihre Hilfe?

Atoussa Bayanifar: Meist erst spät, wenn der Schmerz sich verselbstständigt hat. Beim chronischen Rückenschmerz geschieht das oft: Patienten laufen von Pontius zu Pilatus und werden immer wieder enttäuscht, weil dort oft nur der Körper betrachtet und nicht das Psychosoziale einbezogen wird.

Was ist das besondere medizinische Problem mit Schmerzen? Atoussa Bayanifar: Schmerz kann chronisch werden. Dann brennt er sich quasi in einem neurophysiologisch nachweisbaren Prozess ins Gehirn und stellt ein eigenes Krankheitsbild dar, das nicht unbedingt noch eine aktuelle organische Ursache haben muss. Es ist dann nicht mehr nur der Körper betroffen, sondern die Psyche und das ganze Umfeld des Menschen. Zur Chronifizierung kann es kommen, wenn die Ursache für Schmerz nicht schnell erkannt wird oder wenn ungeeignete Therapien angewendet werden. Je länger die Schmerzphase anhält, umso größer ist die Gefahr der Chronifizierung. Das kann bei der Gürtelrose beispielsweise schon schon nach zwei Wochen geschehen.

Wie kann die Chronifizierung verhindert werden? Zum Beispiel, indem man einen Bandscheibenpatienten nicht mehr ein Woche lang im Bett immobilisiert, sondern ihn schmerztherapeutisch behandelt, so dass er sich möglichst schnell wieder frei von Schmerzen bewegen kann. Geschieht dies nicht rechtzeitig, droht der Teufelskreis der Verspannung, Angst und Depression.

Wie diagnostizieren Sie die Schmerzerkrankung? Es ist sehr schwierig, bei einem chronischen Verlauf später die eigentliche Ursache herauszufinden. Anhand eines standardisierten Fragebogens ermitteln wir gemeinsam mit dem Patienten, wo genau der Schmerz lokalisiert ist, welche Qualität und Intensität er hat, aber auch wie stark sich das Umfeld oder die Aktivitäten der Patienten mit Beginn der Problematik verändert haben. Angst und Depressionen als Begleiterkrankungen kommen ebenfalls zur Sprache. Oft sind die Patienten aber völlig verschlossen für die psychosomatische Ebene. Körper und Seele sind nicht zu trennen. Wir könnten besser helfen, wenn Schmerz als eigenständige Krankheit sowohl bei Ärzten als auch Patienten bekannter wäre.

Wie behandeln Sie?Wenn der Schmerz körperliche Ursachen hat, wird nach einer Schmerzanalyse gezielt medikamentös eingegriffen, auch in Kombination mit Akupunktur und Physiotherapie. Oft sind ein Schmerzbewältigungstraining und Verhaltenstherapie notwendig. Ziel es es dabei, die Selbstheilungskräfte des Patienten zu mobilisieren. Fragen: S. Henßen