: Körper als Labor
Der grassierenden Virtualität Präsenz entgegensetzen: Tanzinitiative Hamburg reflektiert in der Werkstatreihe „Cyborg Moves“ in Performances und Diskussionen futuristische Ästhetik
von ANNETTE STIEKELE
Science-Fiction-Kunst kennt weit mehr als Raumanzüge, leuchtende Weltraumgleiter und Comics. Längst ist sie salonfähig geworden und hat Einzug in alle Künste gefunden. Auch in den Tanz. Doch wie beeinflussen künstlich erschaffene Räume und Menschen die tänzerische Form? Gegenwärtig schwankt die Szene zwischen Verlustangst und Aufgeschlossenheit.
Anlass für die Tanzinitiative Hamburg e. V. dem Thema eine interdisziplinär angelegte Werkstattreihe zu widmen. Vom 20. bis zum 26. Januar dreht sich in „Cyborg Moves“ auf Kampnagel alles um futuristischen tänzerischen Ausdruck und neue Ästhetiken. Die Leitung ist hochkarätig. Von seinem Kampnagel-Besuch ist den Hamburgern das Videotanzsolo „D.A.V.E.“ des Wiener Choreographen und Tänzers Chris Haring ein Begriff. Der Idee vom Verschwinden des Körpers im digitalen Zeitalter setzte er seine eigene körperliche Präsenz entgegen. Haring betrachtet den menschlichen Körper als Labor, als Projektionsfläche, die er zum ironischen oder poetischen Spiel nutzt. Ihm zur Seite steht in der Werkstattleitung die Wiener Künstlerin Birgit Sauer. Ihre Bilder ergänzen Harings Bewegungen ideal. Sauer schafft Räume, auf der Basis von Videostills, die sie so verfremdet, dass sie zugleich offen und universell bleiben und doch ihre persönliche Note enthalten. Gemeinsam werden die beiden Stars ihres Fachs Performer, Tänzer, Videofilmer und Künstler aus dem In- und Ausland in der Kunst des Körperausdrucks unterweisen.
Es soll aber nicht nur gearbeitet werden an diesen Tagen. Für den theoretischen Rahmen und den Austausch mit Gleichgesinnten sorgt ein dreitägiges Programm mit Vorträgen und Performances. Den Anfang macht Prof. Dr. Dietrich Manzey, Professor für Arbeits- und Ingenieurpsychologie in Lüneburg, der sich in seiner Forschungsarbeit unter anderem mit den psychischen Folgen der Mars-Missionen befasst. Welche Auswirkungen hat es zum Beispiel auf die Motivation eines Astronauten, wenn er weiß, dass ein halbes Jahr Rückflug zur Erde vor ihm liegt. Abgerundet wird der Abend von der Internet-Live-Performance New Age 1.0 des Webjockeys Virtuella. Virtuella oszilliert zwischen seiner physischen männlichen und einer virtuellen weiblichen Existenzform. Das Internet dient ihm als Autobahn und Ideensammelllager aus dem er spontan Bilder, Text und Musik aufklaubt und zu Cyber-Geschichten zusammenbastelt. In ihnen bricht er radikal mit Rollenklischees oder präsentiert scheinbar Nebensächliches, wie schwimmende Delphine mit stimmungsvoller Musik. Der Webjockey hat sich auch als freier Autor zu Raumfahrtthemen und künstlicher Intelligenz einen Namen gemacht.
Der Kulturjournalist und Tanzkritiker Helmut Ploebst, Autor eines Buches über neue Choreographie, nennt seinen Vortrag „WYSIWYG - Performance, Projektionen, Fatamorganen“. Davon können sich Interessierte bei der folgenden Performance von Eva Meyer-Keller ein Bild machen. Die studierte Fotografin und Tänzerin arbeitete schon mit Tänzern wie Jérôme Bel und Christine de Smedt. Der Sonntag steht im Zeichen der Präsentation des Erarbeiteten und der Diskussion mit den Werkstattleitern. Wer aus der Nähe betrachten will, wie es in einer choreographischen Werkstatt zugeht, kann das an drei Abenden tun. Dann stehen die Türen der Probebühne P1 auf Kampnagel allen Interessierten weit offen.
Dietrich Manzey: Früher Fiktion, heute Wirklichkeit: Leben und Arbeiten im Weltraum aus psychologischer Sicht: Freitag, 24. Januar, 19.30 Uhr, Kampnagel (p1). Anschließend Internet-Live-Performance New Age 1.0 mit Webjockey Virtuella. - Helmut Ploebst: WYSIWYG - Performance, Projektion, Fatamorganen: Sonnabend, 25. Januar, 19.30 Uhr, Kampnagel (p1). Anschließend Performance Death is Certain von Eva Meyer-Keller. - Abschlusspräsentation: Performannce / Diskussion: Sonntag, 26. Janaur, 18 Uhr, Kampnagel (p1).