Koalitionszwist um Spekulationssteuer: Zu früh gefreut
Die Finanztransaktionsabgabe kommt wohl nicht mehr in dieser Legislaturperiode. Die Opposition droht deshalb mit der Ablehnung des Fiskalpaktes.
BERLIN taz | Die SPD hatte bereits gejubelt: Über „eine 180-Grad-Wende“ von Union und FDP bei der Finanztransaktionssteuer frohlockte Parteichef Sigmar Gabriel. Die Finanztransaktionssteuer bitte „genau die Hochgeschwindigkeitsspekulanten zur Kasse, die ohne Rücksicht auf Verluste zocken“, sagte Generalsekretärin Andrea Nahles.
Pustekuchen. Offenbar kommt die Steuer doch nicht – zumindest nicht mehr in dieser Legislaturperiode. Eine solche Abgabe, eine Art Zugeständnis, dass auch Börsenspekulanten ihren Teil zum Gemeinwohl beisteuern müssen, werde es vor den Bundestagswahlen im Herbst 2013 nicht geben, zitiert der Spiegel Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU). Die vom FDP-Finanzexperten Volker Wissing parteiübergreifend ausgehandelten Bedingungen seien so formuliert, dass es die Abgabe auf Börsengeschäfte in Promillehöhe nicht geben werde, heißt es laut Quellen aus der FDP-Fraktion.
Die SPD hatte die Steuer als Gegenleistung für ihre Zustimmung zum europäischen Fiskalpakt gefordert. Der Pakt, der in den Mitgliedstaaten mehr Haushaltsdisziplin erzwingen soll, muss mit Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Darüber verhandelt am Mittwoch auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Opposition und Koalition. Politiker von Union, FDP, SPD und Grünen hatten sich unlängst darauf verständigt, dass sich Deutschland auf EU-Ebene für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer einsetzt, auch wenn nicht alle Staaten der Eurozone mitmachen.
Umgehend drohte die Opposition mit einem Nein zum Fiskalpakt. „Wer trickst, riskiert ein Scheitern des Fiskalpakts“, sagte der Parlamentarische Grünen-Geschäftsführer Volker Beck. Und: „Sankt-Nimmerleins-Tag ist nicht, Herr Pofalla.“ Becks SPD-Amtskollege Thomas Oppermann erklärte, Pofallas habe wohl „den Ernst der Lage in Europa nicht verstanden“.
Pofallas Einschätzung sei „wahrscheinlich richtig“, sagte CDU-Haushaltsexperte Norbert Barthle zur taz. „Es macht keinen Sinn, die Steuer nur in Deutschland und Frankreich einzuführen“, betonte Barthle. Bislang sei eine Einführung der Transaktionssteuer EU-weit in allen 27 Ländern vorgesehen. Erst Ende Juni könne sich der Europäische Rat damit befassen, das Projekt auch mit weniger Ländern umzusetzen. Großbritannien hatte bereits strikt abgelehnt.
Die Umsetzung der Steuerpläne benötige „mindestens ein Jahr Vorlauf“, sagte Barthle. Noch sei zudem nicht entschieden, wer überhaupt von der Abgabe profitieren solle, die Staaten oder gar die EU selber.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen