Koalitionsverhandlungen in Berlin: Bürgergeld statt Hartz IV
In den Koalitionsverhandlungen fordert die FDP die grundsätzliche Umgestaltung des Sozialsystems mithilfe des "Bürgergeldes". Sie stößt jedoch auf die Gegenwehr der Union.
BERLIN taz | Die Idee macht einen sympathischen Eindruck. Die FDP will Hartz IV abschaffen und durch ein "Bürgergeld" ersetzen. Ohne sich winden, ducken und rechtfertigen zu müssen, erhielten Menschen eine staatliche Leistung, die ihnen zusteht. Sozialämter und Arbeitsagenturen - heute oft Orte der Entwürdigung - verlören ihren Schrecken.
Seit gut 15 Jahren bereits arbeitet die FDP an ihrem Alternativkonzept zum herrschenden Sozialsystem. Jetzt steht das Bürgergeld auf der Tagesordnung der Koalitionsverhandlungen mit der Union.
Ideengeschichtlich ist das Konzept eng verwandt mit anderen radikalen Gegenentwürfen zum realexistierenden Sozialstaat. In der Union propagiert Thüringens katholischer Noch-Ministerpräsident Dieter Althaus sein "solidarisches Bürgergeld". Fast berühmt geworden ist der Karlsruher Unternehmer Götz Werner (dm drogerie markt), weil er ein "bedingungsloses Grundeinkommen" verlangt. Jeder Bundesbürger erhielte vom Staat eine ausreichende Summe Geldes überwiesen - egal, ob er oder sie arbeitet, oder bereit ist, dies zu tun.
Das FDP-Bürgergeld steht in dieser freiheitlichen Denkrichtung, die auch bei der Linkspartei und den Grünen vertreten ist. Beide Parteien wollen Hartz IV durch eine großzügige Grundsicherung ersetzen, die aber höher liegt als das von der FDP geforderte Bürgergeld. "Das Konzept schafft eine Agenda für die Erneuerung der sozialen Sicherung auf der Basis der Bürgerrechte", sagt Michael Opielka, Professor an der Fachhochschule Jena, Grüner und Althaus-Berater.
Auf den zweiten Blick sind die Unterschiede in den Vorschlägen aber beträchtlich. An der geringen Höhe der Hartz-IV-Leistungen, die viele Sozialverbände als nicht existenzsichernd kritisieren, wollen die Liberalen nichts ändern. In ihrem Wahlprogramm fordern sie 662 Euro pro Erwachsenem und Monat - das entspricht der heutigen durchschnittlichen Hartz-IV-Zahlung. Die FDP schlägt zudem vor, diese Leistung nicht mehr am individuellen Bedarf der Menschen zu bemessen, sondern sie zu pauschalieren: Manche Erwerbslose würden mehr erhalten, manche weniger als heute. Wegen ihrer einheitlichen Höhe wäre diese Pauschale ein Quell neuer gefühlter Ungerechtigkeiten.
Die FDP strebt an, viele der heutigen Sozialleistungen abzuschaffen und im neuen Bürgergeld zusammenzufassen. Setzten sich die Liberalen gegenüber der Union durch, würden unter anderem Arbeitslosengeld II, Wohngeld, Sozialgeld, Sozialhilfe und Grundsicherung im Alter zugunsten des Bürgergeldes gestrichen. Dadurch soll das Sozialsystem einfacher und transparenter werden.
Auch einige der Institutionen, die die Zahlungen heute abwickeln, würden dadurch teilweise überflüssig. Die Bundesagentur für Arbeit beispielsweise würde die FDP gerne mehr oder weniger abschaffen. An die Stelle der heutigen Institutionen träten dann schlicht die Finanzämter, die das pauschalierte Bürgergeld auszahlten.
Wohlgemerkt: Wer nicht bereit ist, sich um Arbeit zu bemühen, dem soll nach dem Willen der Liberalen auch künftig die Leistung gekürzt werden. "Konsequente und bewehrte Verpflichtung mit Sanktionen", nennt das der FDP-Ehrenvorsitzende und Ex-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff. Man kann es auch so umschreiben: Fordern ohne Fördern.
Aber es gibt auch Punkte, an denen der liberale, fortschrittliche Geist zu spüren ist. So sollen Erwerbslose laut FDP-Vorschlag mehr eigenes Geld verdienen dürfen als heute, ohne dass der Lohn gleich wieder mit dem künftigen Bürgergeld verrechnet und von diesem abgezogen wird. Diese verbesserte Kombination aus staatlicher Basissicherung und eigenem Verdienst könnte für manchen Erwerbslosen als Anreiz wirken, sich im Gegensatz zu heute doch mal um einen Job zu bemühen.
Auch die Union will die Möglichkeiten für den Zuverdienst verbessern. Hier könnten sich die beiden Parteien bei ihren Koalitionsverhandlungen also einigen. Das Bürgergeld-Konzept insgesamt aber hat bei der Union keine großen Chancen. Dieter Althaus leitet dort zwar eine Kommission zum Thema, doch deren Arbeit hat bislang keinen großen Widerhall gefunden. Generalsekretär Pofalla sagte kürzlich, er sehe keine Notwendigkeit, die Hartz-IV-Regeln grundsätzlich zu ändern. Umfassende Reformen, die mehr ändern als Kleinigkeiten, sind mit der Union nur sehr schwer zu machen - sie bringen viel zu viel Unruhe.
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