Koalitionskrise in Hamburg: Alles nur "Gequatsche"?
Der Rücktritt von Hamburgs CDU-Bürgermeister Ole von Beust scheint nur eine Frage von Tagen zu sein. Entscheidend ist der Volksentscheid über die Schulreform.
Persönliche Rekorde sind Ole von Beust egal. Am 7. Dezember 2011 könnte er der am längsten amtierende Erste Bürgermeister Hamburgs werden. Dann würde er mit zehn Jahren und 37 Tagen als Regierungschef die sozialdemokratische Nachkriegslegende Max Brauer überflügeln. "Nein", sagt von Beust und wirkt eher gelangweilt, "solche Rekorde interessieren mich tatsächlich nicht". Das also hält ihn nicht im Amt. Was dann?
Seit Ende 2001 regiert der Christdemokrat den Stadtstaat an Elbe und Alster, und manche meinen, er sei dessen überdrüssig. Ein klares Dementi gibt es bislang nicht von ihm. Ein Jahr vor der regulären Neuwahl im Februar 2012, also Anfang nächsten Jahres, wolle er entscheiden, ob er als Bürgermeisterkandidat der CDU wieder antrete, sagt von Beust. Und fügt sogleich hinzu: "So lange im Amt zu bleiben, bis man abgewählt wird, ist auch nicht erstrebenswert."
Klarer Kurs sieht anders aus, und so ist es kein Wunder, dass die Spekulationen vor allem wegen des Volksentscheides über die Primarschulreform am Sonntag aufblühen. Würde das Prestigeprojekt der Koalition aus CDU und Grün-Alternativer Liste (GAL) vom Volk abgelehnt, sei Beusts Rücktritt sicher, raunen einige Auguren im Rathaus. Selbst bei einem Sieg, wollen andere wissen, würde er aufhören. Ihm sei von alldem nichts bekannt, beteuert Parteichef Frank Schira. Und von Beust selbst lässt ausrichten, zu dem "Gequatsche" nicht Stellung nehmen zu wollen. Die Gerüchteküche brodelt deshalb nicht weniger.
wird am 13. April 1955 in Hamburg als Carl-Friedrich Arp Freiherr von Beust geboren. Er studiert Jura und arbeitet als Rechtsanwalt.
1978 wird er mit 23 Jahren jüngster Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft.
Seit dem 31. Oktober 2001 ist er Erster Bürgermeister in Hamburg. Die erste Koalition mit Schill-Partei und FDP zerbricht vorzeitig.
Bei der Neuwahl im Februar 2004 erkämpft er für die CDU mit 47,2 Prozent die absolute Mehrheit der Mandate.
Bei der Wahl im Februar 2008 verlieren von Beust und die CDU mit 42,6 Prozent ihre alleinige Mehrheit. Nach Sondierungsgesprächen mit SPD und GAL kommt es zu Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und Grünen.
Am 7. Mai 2008 wählt die Bürgerschaft von Beust zum Regierungschef der ersten schwarz-grünen Koalition in einem deutschen Bundesland.
Es begann am 1. März mit der Ankündigung von CDU-Parteichef und Finanzsenator Michael Freytag, von der Politik in die Wirtschaft wechseln zu wollen. Flugs schlossen die beiden scheinbar mächtigsten in der zweiten Reihe, Innensenator Christoph Ahlhaus (40) und Fraktionschef Frank Schira (46), einen Burgfrieden. Schira sollte Freytag als Parteivorsitzender beerben, Ahlhaus sollte im Falle eines Falles Beusts Nachfolger als Bürgermeister werden dürfen.
Inzwischen ist es nicht mehr so klar, ob der Handschlag noch gilt. Schira versicherte vor zwei Wochen, sich über eine Spitzenkandidatur 2012 "noch keine Gedanken gemacht" zu haben. Und aus Reihen des grünen Koalitionspartners, der sich offiziell zu Personalien einer anderen Partei nicht äußert, ist nachhaltig zu hören, dass der konservative Hardliner Ahlhaus, dezent ausgedrückt, nicht als Wunschkandidat auf dem Chefsessel des schwarz-grünen Senats gilt.
Eher schon vorstellbar ist der liberale und definitiv grünen-kompatible Sozialsenator Dietrich Wersich (45), der schon mal seinen Hut in den Ring geworfen hat. Und im Bundestag sitzen mit den beiden stellvertretenden Parteivorsitzenden Markus Weinberg (43) und Rüdiger Kruse (49) zwei weitere ambitionierte Christdemokraten, die sich noch nicht am Ende ihrer politischen Karriere sehen. Alles aber steht und fällt damit, ob Ole von Beust weitermacht oder nicht.
Die GAL sieht dem mit Bangen entgegen. Ole von Beust ist persönlich und politisch der Garant für Schwarz-Grün. Klar ist zurzeit aber nur, dass es Beratungsbedarf gibt. Am Montagabend gibt es einen Mitgliederabend nur für GAL-Mitglieder unter Ausschluss der Medien, ein Parteitag soll Ende August folgen.
Der langjährige GAL-Chefstratege Willfried Maier stellt schon mal klar, dass ein Abgang von Beusts "zu Irritationen führen" werde. Er könne sich "gut vorstellen, dass unsere Abgeordneten und Senatoren nicht einfach zur Tagesordnung übergehen".
Einen sofortigen Wechsel zu Rot-Grün-Rot schließen alle Beteiligten jedoch aus. Das wäre nur eine Option nach Neuwahlen, wenn zuvor SPD, GAL und Die Linke ihre jeweiligen Nein-Positionen aus dem Wahlkampf 2008 über Bord würfen.
Die Idee einer von den Linken tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung nach NRW-Muster, wie sie Alt-Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) vorgeschlagen hat, ist aus den gleichen Gründen chancenlos. Sie laufe "nicht jeder Sau hinterher, die Voscherau durchs Dorf jagt", kommentiert Linke-Fraktionschefin Dora Heyenn prägnant.
Die oppositionelle SPD wartet erstmal ab. Sollte die Koalition vorzeitig zerbrechen, stünde sie keinesfalls anstelle der Grünen als Juniorpartner der CDU in einer großen Koalition bereit. Eine Umfrage aus der Vorwoche sagt ihr zurzeit 39 Prozent voraus, der CDU nur 36, der GAL elf und den Linken sechs. Damit hätte Schwarz-Grün keine Mehrheit mehr, für Rot-Grün aber würde es auch ohne die Linken reichen.
Deshalb spielen die unter ihrem neuen Parteichef Olaf Scholz wiedererstarkten Sozialdemokraten auf Zeit. "Wir wollen regieren und wir wollen den Bürgermeister stellen", stellt der klar. Dass dieser Job ihm zufiele, ist sicher. Er gehe bislang vom regulären Wahltermin 2012 aus, sagt Scholz. Aber wenn es schnell gehen müsse, "sind wir bereit".
Sonntagabend oder am Montag dürften alle klarer sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Pro und Contra
US-Präsident Biden hat seinen Sohn begnadigt – richtig so?
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld