Koalitionsende: Peter Harry schwindelfrei
In Kiel mehren sich die Stimmen, die Regierungschef Peter Harry Carstensen der Lüge bezichtigen. Dennoch wird er heute die Vertrauensfrage stellen - und sie wunschgemäß verlieren.
Der Kieler Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) gerät immer mehr in die Kritik. Nicht nur, dass er durch die Entlassung der SPD-Ministerriege seine Regierung praktisch lahm gelegt und das Klima vollends vergiftet hat. Jetzt muss er sich angesichts der Lage der HSH Nordbank auch die Frage der finanzpolitischen Sprecherin der Grünen, Monika Heinold, gefallen lassen: "Wurde der Landtag von der Landesregierung belogen?"
Wenige Monate nach der Milliarden-Stütze von Schleswig-Holstein und Hamburg an ihre Landesbank könnte die HSH wieder am dem Punkt stehen, "wo wir vor der Kapitalspritze waren", sagt der frisch entlassene Justizminister Uwe Döring (SPD). Vor allem Probleme im Schiffsbausektor könnten dazu führen, dass die Kernkapitalquote der Landesbank zum Jahresende wieder auf vier Prozent sinkt. Auch Ex-Wirtschaftsminister Werner Marnette (CDU), der wegen der desolaten Lage der Nordbank zurückgetreten war, meldet sich wieder zu Wort. Er nennt den Bruch der Koalition ein "wahltaktisches Manöver" und wirft den HSH-Verantwortlichen "Unvermögen, Fehleinschätzung, Täuschen, Tarnen und Tricksen" vor.
Für die Grüne Heinold "bestätigt das unsere Befürchtung, dass die Probleme bei der HSH Nordbank weit größer sind als von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und Finanzminister Wiegard bisher zugegeben". Die Frage sei: "Log die Landesregierung, als sie behauptete, dass das neue Geschäftsmodell der Bank auf Herz und Nieren geprüft wurde und belastbar sei?" Und: "Glaubt überhaupt ein Mitglied der Landesregierung außer Finanzminister Rainer Wiegard an dieses Modell?"
Auch die SPD spricht weiter von Lüge: Der Ministerpräsident, der heute im Landtag die Vertrauensfrage wunschgemäß verlieren dürfte, hatte geschrieben, die SPD-Fraktion habe dem Bonus an den HSH-Chef Jens Dirk Nonnenmacher zugestimmt - es gab aber keine formale Abfrage und keine Zustimmung. Der Finanzausschuss des Landtages wird sich Anfang September - vor der vorgezogenen Neuwahl - mit der HSH beschäftigen. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zur HSH wird nach der Wahl wiederaufgenommen. Ob der Scherbenhaufen rechtzeitig zusammengefegt werden kann, bezweifelt der Bund der Steuerzahler: "Schleswig-Holstein ist pleite", sagte der Vorsitzende des Landesverbands, Rainer Kersten.
Bereits heute geht es nach der Vertrauensfrage im Landtag um einen weiteren Knackpunkt: den Pannenmeiler Krümmel. Zweimal wurde die Beratung aufgrund der Regierungskrise verschoben. Nun wollen SPD, Grüne und SSW - die gegen CDU und FDP die knappe Mehrheit im Parlament stellen - durchsetzen, dass das Alt-AKW endgültig vom Netz genommen wird. "Die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betreibers Vattenfall sind in der Anhörung eher größer geworden", sagte der energiepolitische Sprecher der SPD, Olaf Schulze, nach einer Ausschusssitzung. "Wer die Übertragung von Reststrommengen aus kurzsichtigen Gewinnabsichten nicht einmal prüft, muss über rechtliche Mittel und politischen Druck auf den einzig richtigen Weg bebracht werden."
Ärgerlich nur: Die Aufsicht über die Atome hat nicht mehr die SPD-Ministerin Gitta Trauernicht, die sich für die Stilllegung einsetzte, sondern der CDU-Mann Christian von Boetticher. Karl-Martin Hentschel, Fraktionschef der Grünen, ist dennoch überzeugt: "Wir kriegen eine gute Lösung hin."
Durch die vorgezogenen Neuwahlen geraten die Parteien unter Zeitdruck: Eilig erklärten gestern Anke Spoorendonk (SSW) und Monika Heinold (Grüne) ihre Kandidatur für die Spitzenplätze ihrer Parteien. Gerangel könnte es bei den Grünen um Listenplatz zwei geben: Es bewerben sich vermutlich der Fraktionschef Karl-Martin Hentschel und der Landesvorsitzende Robert Habeck. Über die Landeslisten entscheiden Parteitage in den nächsten Wochen. Die anderen Parteien haben mit Peter Harry Carstensen (CDU), Ralf Stegner (SPD) und Wolfgang Kubicki (FDP) ihre Spitzenleute bereits benannt. Allerdings hapert es überall noch mit den Wahlprogrammen. Nur die CDU hat schon einen Termin für ihren "Programmkongress" - als hätte sie es geahnt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!