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Kneipier gegen „Groß-Bonn“

■ Kiezgastronomen wollen sich gegen rigide Handhabung der Schankordnung zur Wehr setzen / Forderung: Ausschank im Freien bis 24 Uhr

Kreuzberg. Allabendlich gegen 23 Uhr wiederholt sich das Szenario: Vor eine Kreuzberger Kneipe fährt ein Wagen vor, ein Polizeibeamter zählt die noch vor der Tür stehenden Stühle inklusive den darauf sitzenden Gästen und notiert diesen Tatbestand gewissenhaft. Danach steigt er wieder in den Wagen - um vor dem nächsten Lokal das Spiel von neuem zu beginnen.

Ein paar Tage später flattert dann dem Inhaber der betreffenden Gaststätte ein Schreiben vom Tiefbauamt ins Haus, in dem er aufgefordert wird, sein lästerliches Tun gefälligst zu unterlassen und sich an die Schankordnung zu halten. Diese schreibt vor, den Ausschank im Freien um 22 Uhr einzustellen. Andernfalls werde ein Bußgeld in fünfstelliger Höhe erhoben. Mittlerweile 28 Kneipenbetreiber und -betreiberinnen sind auf diese Art und Weise bisher gemaßregelt worden.

Nachdem die Kreuzberger Gastronomen bereits vor einer Woche zu einer ersten Krisensitzung zusammenkamen, traf man sich gestern nachmittag erneut im Cafe Altenberg. Die Betroffenen waren sich darüber im klaren, daß es sich bei dieser Eskalation von Anzeigen um eine politisch gesteuerte Aktion handeln muß, die die „zukünftige Hauptstadt Berlin in ein Groß-Bonn verwandeln“ soll.

Merkwürdigerweise, so ein Wirt aus SO 36, streite der Chef des Kreuzberger Tiefbauamtes ab, daß es eine solche Aktion seines Hauses geben solle. So auch der Kreuzberger Bürgermeister König zur taz: „Ich habe von der Sache erst aus der Zeitung erfahren. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß die strikte Durchsetzung der Schankordnung einen politischen Hintergrund hat. Sicher wird irgendwas vorgefallen sein. Es muß ja nicht Randale sein - aber Biertrinken ist unter Umständen eben etwas lauter. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich das Tiefbauamt aus heiterem Himmel einen neuen Kriegsschauplatz an Land ziehen will.“

Die im „Altenberg“ versammelte Gastwirtsgemeinde war sich darüber im klaren, daß es formaljuristisch kaum eine Möglichkeit geben wird, eine erweiterte Öffnungszeit der Straßencafes durchzusetzen. Trotzdem will man nicht kampflos aufgeben. Es wurde vorgeschlagen, an alle auch nur mittelbar Verantwortlichen in Berlin einen offenen Brief zu schicken, in dem eine Änderung der Schankordnung gefordert wird Zielstellung: Grundsätzliche Genehmigung bis 24 Uhr.

Desweiteren sollen der Kreuzberger Bürgermeister, der Leiter des Tiefbauamtes sowie die Baustadträtin des Bezirkes zu einer Aussprache eingeladen werden. Dann wolle man weitersehen. Erwogen wurde auch als Protestaktion, sämtliche Kiezkneipen um 22 Uhr zu schließen, um die zahlreiche Gästeklientel zu mobilisieren. Natürlich würde das voraussetzen, daß alle mitmachen - dies sei aber schwierig sicherzustellen. Vorerst wolle man gemeinsam einen Rechtsanwalt beauftragen, der die Interessen der Kneipiers wahrnehmen soll.

Die Idee, vor dem Wohnhaus eines Kreuzberger Bewohners namens Momper einen „Protesttresen“ aufzubauen, wurde jedoch vorerst verworfen.

Olaf Kampmann

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