Klischee-Roman über Kunstszene: Fremd im eigenen Leben
Silke Scheuermanns Roman "Shanghai Performance" spielt in der Kunstwelt. Zwischen Glamour und privater Tragödie kippen ihre Figuren ins Karikaturenhafte.
Silke Scheuermann hat als Lyrikerin begonnen und bekam 2001 mit 27 Jahren den Leonce-und-Lena-Preis, 2006 folgte der Hermann-Hesse-Literatur-Förderpreis. Wenn sie gut ist, und das ist sie meistens, zeichnet sie sich durch einen lakonischen Stil, eine ausgeprägte Sensibilität für Atmosphären und psychosoziale Konstellationen aus.
Sie hat das Talent, ohne jede Peinlichkeit Erotik, Rausch und zarte wie abgründige Gefühle zu schildern, indem sie schonungslos und präzise hinschaut, sich phänomenologisch nähert und genau die richtigen Oberflächendetails beschreibt. Zuletzt hat sie mit "Die Stunde zwischen Hund und Wolf" ein überaus berührendes Kammerstück über die Hassliebe zweier Schwestern vorgelegt. In ihrem neuen, schon vielbeachteten Roman, "Shanghai Performance", erzählt sie eine Geschichte aus der internationalen Kunstwelt.
Luisa ist Assistentin der Star-Künstlerin Margret Winkraft, die Scheuermann kaum verschlüsselt der realen Vanessa Beecroft entlehnt hat: Beider Markenzeichen sind skandalumwitterte Performances, in denen nackte weibliche Schönheiten wie Schaufensterpuppen stundenlang als Gruppentableau in Ausstellungshallen herumstehen.
Luisa und ihre Chefin reisen mit einer kleinen Mitarbeiterschar nach Shanghai, um dort eine Schau zu organisieren. Die Partnerin vor Ort ist eine ehrgeizige Junggaleristin. Man lernt sich kennen, die Freunde der jungen Chinesin erscheinen auf der Spielfläche. Darunter sind auch die geheimnisvolle Kunsthistorikerin Winona, die im Rollstuhl sitzt, und ihr anziehender Halbbruder Andrew, mit dem Luisa eine Affäre beginnt.
Bald stellt sich heraus, dass Winona die verlorene Tochter der großen Künstlerin ist, bereits als Säugling von der Mutter verlassen und vom Vater zwischen den USA und China aufgezogen. Winkraft ist begeistert über ihr wiedergefundenes Kind, es werden teure Geschenke gemacht, gemeinsame Unternehmungen folgen, die beiden sind für ein paar glückliche Tage unzertrennlich. Allerdings erlischt das mütterliche Interesse allzu rasch, einer tiefergehenden Bindung stehen ihre Egozentrik und Arbeitswut im Wege.
Team als Familienersatz
Zwischen glamourösen Partys in Shanghaier Edelbars und intimen Begegnungen in spektakulären Wolkenkratzern entfaltet sich, wir ahnen es, eine Tragödie. Margret Winkraft ist zwar scharfsinnig, unterhaltsam und finanziell großzügig, für ihre Mitmenschen interessiert sie sich aber nur, solange sie ihr nützen, also künstlerisch brauchbar sind oder die Einsamkeit vertreiben.
Das Team ist Familienersatz, natürlich in einseitiger Abhängigkeit, was bei Konflikten auch knallhart spürbar wird. Margret Winkraft hat ein System aufgebaut, das perfekt ihrem Narzissmus entspricht, und so hinterlässt sie allerorten Enttäuschte und Verbitterte, was sie aber nicht weiter bedrückt: Ihr Erfolg macht sie so attraktiv, dass sich verlässlich neue Entouragen finden lassen.
"Shanghai Performance" ist ein gut geschriebener Roman, realistisch erzählt, szenekundig. Man ist schnell durch. Und dann? Man will etwas Hartes hinterher oder etwas Aufwühlendes. Etwas, was den Kopf durcheinanderbringt. Her mit den bewegenden Stoffen, der waghalsigen Sprachkunst, oder wenigstens ein paar steilen Thesen! Nein, zwischen den Deckeln von Silke Scheuermanns neuem Buch findet sich nichts dergleichen.
Das wäre nicht weiter schlimm, auch das Nüchterne und Alltägliche kann Gegenstand einer beglückenden Lektüre sein. Aber der Stoff macht Appetit auf Größeres, geht es doch um zeitgenössische Kunst, Schönheit und Ästhetik, um Untreue, tragische Familienkonstellationen. Scheuermann erzählt uns jedoch vor allem, wenig originell, dass die glamouröse Welt des internationalen Kunst-Jetsets hohl und kalt ist, oberflächlich und ichbezogen ihr Personal.
Und heraus kommt ein Roman, der wie so viele aktuelle deutschsprachige Neuerscheinungen im Selbstverwirklichungsmilieu der Autorin angesiedelt ist, von weltläufigen, verwöhnten Kreativberuflerinnen um die dreißig berichtet, die sich mit diversen Sexual- und Lebenspartnern herumschlagen und seltsam fremd in ihrem eigenen Leben wirken.
Die Konflikte der Ich-Erzählerin Luisa sind immerhin gut gezeichnet. Im Kleinen tut sie, was ihre Chefin im Großen macht - sie spielt mit den Gefühlen anderer und muss erkennen, dass sich Liebe und Sex vielleicht doch nicht so gut trennen lassen, wie es ihren unmittelbaren Bedürfnissen zupass käme. Vom Lover in Shanghai ist sie genervt, ihm müsse doch klar sein, dass Heiratsanträge nicht angebracht sind. Gleichzeitig bedrängt sie ihren Exfreund in Deutschland mit E-Mails und Anrufen, weil sie nicht akzeptieren will, dass er einen Schlussstrich unter die Beziehung zu der notorischen Fremdgängerin ziehen möchte. Auch das Verhältnis zu Winkraft, die sie einerseits bewundert, deren Skrupellosigkeit Luisa andererseits aber immer mehr abstößt, ist einfühlsam und nachvollziehbar beschrieben.
Die Diva als kaltes Biest
Das Innenleben Luisas schildert Scheuermann mit der notwendigen Ambivalenz, sie moralisiert nicht, rechtfertigt nicht, und das macht die Sache interessant. Das trifft jedoch auf den anderen Erzählstrang, die Geschichte von Margret Winkraft, überhaupt nicht zu. Das mag an der Erzählperspektive liegen, denn es ist ja die der zunehmend entzauberten und menschlich enttäuschten Luisa, die zudem leider nur das Langweiligste, das es in diesem Kontext zu erzählen gibt, auswählt. Dadurch erscheint Winkraft als vollkommen überzogene Künstlerinnen-Karikatur.
Vielleicht ist es tatsächlich so, dass man es in der Kunstwelt mit besonders vielen narzisstisch Gestörten zu tun hat; sind doch Egozentrik und eiserner Karrierewille in dieser Szene durchaus gewünscht. Eine traurige Mutter-Tochter-Beziehung ist kein schlechter Stoff, Fragen der Verantwortung für die Nächsten, nach Selbstverwirklichung und Karriere sind alles andere als irrelevant. Hier wirken sie jedoch eindimensional beantwortet; die Diva als kaltes Biest, die sich ihre Freunde kauft, ihr unglückliches Kind zurückweist und einsam sterben wird, ist ein allzu ausgelutschtes Rabenmutter-Klischee.
Am Ende des Buches, als Luisa wieder mit ihrem Freund in Frankfurt zusammenwohnt und sich aus der Kunstwelt zurückgezogen hat, hätte man lieber erfahren, was Margret Winkraft zu der Sache zu sagen gehabt hätte. Überhaupt: Das Aufregende an der Kunstwelt ist nun mal nicht der Tratsch über das Privatleben ihrer Stars, sondern es sind die ästhetisch-künstlerischen Themen, und es ist schade, wenn sowohl die Kunst als auch die Metropole Shanghai letztlich bloß als glitzernde Kulisse herhalten müssen.
Im Klappentext heißt es, "Shanghai Performance" sei ein Roman "über Sehen und Gesehenwerden". In der Tat: Die Performances Winkrafts reflektieren wie bei Beecroft Mechanismen des objektivierenden, einseitigen Sehens, das asymmetrische Machtkonstellationen festigt und in seinem Wesen ausbeuterisch ist. Genauer betrachtet scheinen die Winkraft-Beecroft-Performances jedoch auch bloß die Lust an ungestörter Glotzerei, die es freilich auch unter Gebildeten gibt, zum Ausgangspunkt eines künstlerischen Erfolgskalküls genommen zu haben.
Wenn nun Scheuermann die Starkünstlerin in platter Weise als menschlich unfähig desavouiert, wirkt das wohlfeil - so wie jeder Ansatz, einer öffentlichen Person, die Stellung zu einem Thema bezieht (in diesem Fall: Degradierung der anderen zum Lustobjekt), privates Versagen im exakt selben Feld nachzuweisen. Und so fragt man sich am Ende, ob Silke Scheuermann nicht dasselbe unterläuft, wie den Künstlerinnen, die sie so kritisch schildert: Sich scheinbar um der Reflexion willen formal der Peepshow anzunähern, um am Ende auch nicht darüber hinaus zu kommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken