: Klinsmann süß sauer
Milde lächelnd erträgt Jürgen Klinsmann ein 1:0 gegen den chinesischen Gegner, der nicht mitspielen wollte, und unverhältnismäßige Kritik nach aufgebauschten Testspielen vor der Weltmeisterschaft
AUS HAMBURG OKE GÖTTLICH
Kaum 30 Minuten waren im Vorbereitungsspiel gegen die Volksrepublik China vergangen, als die ersten Zuschauer die Lust verloren, Deutschland gegen die chinesische Mauer anrennen zu sehen. Die Pfiffe wurden bis zum Ende der ersten Halbzeit lauter, „HSV, HSV“-Rufe mischten sich in das jüngst erfolgsverwöhnte Rund im Hamburger Volkspark. Die Kreativität des kritischen Volkes entsprach damit in etwa jener, die beim 1:0-Erfolg gegen den 60. der Weltrangliste auch auf dem Platz herrschte.
Deshalb versuchten alle Beteiligten die Unmutsäußerungen so verständnisvoll wie nötig und abgeklärt wie möglich zu verarbeiten. „Wir wollten die Zuschauer begeistern, aber das ist uns nicht gelungen. Daher müssen wir mit den Pfiffen leben“, erklärte Torsten Frings, der mit einem Elfmetertor in der 51. Minute, wobei der Ball sowohl die Hand des Torwarts als auch den Pfosten berührte, den Endstand markierte. „Es war heute gegen einen defensiven Gegner nicht leicht. Außerdem erwarte ich, dass es bei der WM auch viele solcher Spiele geben wird“, trotzte Christoph Metzelder, der nach zweieinhalb Jahren die Rückkehr ins Nationalteam feiern durfte. Ihm pflichtete auch Bernd Schneider bei, der sich gut gestaffelten Chinesen gegenüber sah, „die mit zwei Viererriegeln in der eigenen Hälfte agierten“.
Coach Klinsmann, nicht mehr ganz so breit lächelnd wie gewohnt, sprach zwar von einem Hänger, den das Team gerade durchmache, ergänzte aber,„lieber jetzt durch eine Phase, in der wir körperlich nicht auf der Höhe unserer Kräfte sind“ zu gehen, als während der WM. Die Kritik zahlreicher Trainerkollegen und Manager am Leistungstest könne er nicht verstehen. „Der Leistungstest war Pipifax.“ Ohne wirklich konkret anzudeuten, wie viel Test, Experiment und Freundschaft in den vergangenen Spielen steckte, ließen Klinsmann und die seinen durchblicken, wie unverhältnismäßig sie die Reaktionen der letzten Wochen empfinden. „Wir lassen uns nicht aus der Ruhe bringen. Es kommt immer so eine Phase, in der es nicht so gut läuft.“ Es fehlten nur die direkten Hinweise auf die Testspiele unter einem gewissen Franz Beckenbauer, um zu verstehen, was Klinsmann gewohnt diplomatisch ausdrückte.
Weniger Diplomatie zeigte der Deutschkalifornier in der Beschreibung der „Do’s“ und „Dont’s“ im Spiel seines Teams. „Wir haben viel zu oft in die Breite gespielt, wegen des Bollwerks. Wir hätten schneller in die Spitze spielen müssen, das ist uns nicht gelungen.“ Wenig verwunderlich also, dass vom Angriff mit Oliver Neuville – der von der Krankheit Kloses und dem Wunsch Ralf Rangnicks, seinen Spieler Kevin Kuranyi doch bitte zu schonen, profitierte – und Lukas Podolski, der später mit Muskelproblemen ausgewechselt werden musste, kaum etwas zu sehen war. Tim Borowski fand als Ersatz für Michael Ballack weder die Lücken in die Spitze, noch zu seinem Spiel.
„Außerdem gab es zu viele Rückpässe, die wir gar nicht gern sehen“, monierte Klinsmann weiter und sprach mit den beiden Spielformen non grata auch die Fehler an, die zu zwei gefährlichen Situationen vor dem Tor von Oliver Kahn führten. Hui Xie und Jihai Sun hätten die Gäste mit zwei Toren vor der Halbzeit beglücken können, wenn sie nicht vor Angst (Hui Xie, 41.) oder am großartigen Reflex von Kahn (Jihai Sun, 45.) gescheitert wären. „In dieser Situation wollten wir zu viel, und alle sind nach vorne mitmarschiert“, entschuldigte sich Frings, der nach einem Gespräch mit dem Trainer in Folge des Türkei-Spiels eine verbesserte Leistung zeigte und als defensiver Mittelfeldspieler im Zusammenspiel mit dem Wiederkömmling Christoph Metzelder die Defensive organisierte. „Wir Defensive ziehen nun mal unsere persönliche Befriedigung daraus, dass wir zu Null spielen.“ Auch dank dieser Erkenntnis soll Metzelder langsam als künftiger Abwehrchef aufgebaut werden. „Wir wollen ihn wieder vom nationalen Niveau auf das internationale bringen“, erklärte Klinsmann, der den Dortmunder in der Innenverteidigung eine Halbzeit mit Per Mertesacker und eine mit Robert Huth zusammen testete. „Christoph seine Leistung und seine Präsenz ist eine erfreuliche für uns“, schwäbelte der Nationaltrainer, der darin sein Highlight gegen das wörnsartige Team aus dem fernen Osten sah.
Klinsmanns Unerschrockenheit sich seinen Kritikern zu stellen („Wir werden uns nicht vor der Kritik schützen, diese Erfahrungswerte sind enorm wichtig“) und positive Schlüsse daraus zu ziehen, sorgt bei Fans und manchen Offiziellen vielleicht für Kopfschütteln. Sie sollten es nehmen wie Klinsmann die Übersetzungen seiner Ausführungen in das Chinesische. „Kompliment: Ich habe zwar nichts verstanden, es hat sich aber gut angehört“, sprach der Coach und verschwand mit einem Lächeln.
DEUTSCHLAND – CHINA 1:0Deutschland: Kahn - Friedrich, Mertesacker (46. Huth), Metzelder, Schweinsteiger (88. Hitzlsperger) - Frings - Deisler, Borowski, Schneider - Neuville (90. Owomoyela) , Podolski (52. Kuranyi)China: Li Leilei - Du, Li Weifeng, Ji Mingyi - Sun Jihai (83. Wang Liang), Li Tie, Li Yan, Sun Xiang (90. Zheng Bin) - Zheng Zhi (80. Xu Liang), Shao (59. Yang Cao) - Hui Xie (46. Fangzhuo Dong; 90. Zuo Jie)Zuschauer: 48.734; Tor: 1:0 Frings (51.)