Klima-Akivisten: Perfekte Performance
Junge Aktivisten wollen ihr Thema vor der UN-Konferenz stärken. Sie sind uneinig, was dabei vorn stehen muss: Professionalität oder Idealismus.
Anna, Emma, Alina, Sara und Laura singen, Sopranstimmen zur Gitarre für die Politiker dieser Welt. "Will you go to history for causing climate misery?" - "Werdet ihr in die Geschichte eingehen als die Verursacher der Klimamisere?" Sie wiederholen die Zeile, es klingt zorniger. Dann rutscht es einer von ihnen raus: Aus "will you" wird "you will" - "Ihr werdet in die Geschichte eingehen als die Verursacher der Klimamisere." Der Satz bündelt die Wut der jungen Aktivistinnen angesichts schleppender UN-Klimaverhandlungen und drohenden Elends. Eine Anklage, nicht eine Frage war die Liedzeile im Original. Aber in der Avaaz Climate Action Factory löste das eine Debatte aus.
Die kleine Klimaband, die es jetzt nur noch auf YouTube gibt, lebte im Sommer monatelang zusammen in einer Wohnung in Berlin-Prenzlauer Berg. Die US-amerikanische Organisation Avaaz zahlte einer Gruppe junger europäischer Aktivisten die Lebenshaltungskosten, damit sie vor der Bundestagswahl und der UN-Klimakonferenz im Dezember in Kopenhagen Kampagnen organisiert - eine Aktionsfabrik. Aber als eine Teilnehmerin die Zeile über Mächtige als Verantwortliche für Klimaelend dichtete, gab es Streit. Das sei zu negativ. Man dürfe nicht verurteilen, sondern müsse Politikern die Hoffnung, den Ausgang zeigen.
Julius van de Laar, heute Chef des deutschen Teams, war damals noch nicht bei Avaaz. Aber er sieht das Problem: "Kampagnen müssen positiv gestaltet sein", sagt er. "Einfach nur dagegen sein reicht nicht, damit verschließe ich Türen." Der 27-Jährige ist Profi. Van de Laar hat in den USA Politik- und Kommunikationswissenschaft studiert, war der einzige Deutsche im Wahlkampfteam von Barack Obama und ab März bei der Internet-Wahlkampfagentur der SPD angestellt. Über Bekannte kam der Hinweis, dass Avaaz einen Kampagnenleiter für die Wahlkampfzeit in Deutschland suche. Ob er sich das vorstellen könne? Er sagte zu und wechselte vom SPD-Berater zum German Elections Campaigner bei der noch relativ unbekannten Organisation. "Sehr viel an der Arbeit ist einfach Politik - politisches Denken ist erforderlich und übertragbar in verschiedenen Themenfeldern", sagt er. Er verschickt 500 bis 600 E-Mails am Tag.
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Avaaz hat nach eigenen Angaben weltweit 3,6 Millionen Mitglieder, etwas über 200.000 in Deutschland. Diese Menschen sind allerdings keinem Verein beigetreten, als Mitglied wird bezeichnet, wer sich für den Newsletter registriert hat. Avaaz-Engagement spielt vor allem im Internet. In Anlehnung an die erfolgreiche US-Kampagnen-Plattform MoveOn.org wurde die Organisation 2006 gegründet. Ziel: die gute Globalisierung sein, "eine neue globale Internetbewegung". Die Gründer wollten digitale Vernetzung nutzen, um "Menschen eine Stimme zu verleihen" - mit Onlinepetitionen und globalen Flashmobs. Ihre Themen: alles, was mit Gerechtigkeit zu tun hat - momentan viel Klimawandel.
Avaaz hat vieles, wovon traditionelle Umweltorganisationen träumen: professionelle Campaigner, schlanke Entscheidungsstrukturen, Mitglieder in verschiedenen politischen Lagern, Geld. Man finanziere sich über Spenden und Zuschüsse von Organisationen, sagt Julius van de Laar. Eine ehemalige Aktivistin, die aus dem Graswurzelbereich kam, war geradezu geschockt, wie viel Ressourcen es gab. In der zweiten Phase der Action Factory bezahlt Avaaz momentan sechs junge Menschen für Aktivismus als Vollzeitjob. Kampagnen müssen nicht den langwierigen Weg basisdemokratischer Vereinsstrukturen gehen, sondern werden mit dem Büro in den USA per Konferenzschaltung besprochen. "Wir müssen schnell sein", sagt Julius van de Laar. Und offen: Eine detailliert ausgearbeitete Grundsatzagenda gibt es nicht.
Schnelligkeit versus Basisdemokratie, Niedrigschwelligkeit versus klare politische Überzeugung, Politmanagement versus alternative Selbstfindung - Avaaz und andere Onlinecampaigner stoßen in Lücken der Umweltbewegung. "Eine Schwäche bestand darin, dass das Internet mit seinen Mobilisierungs- und Partizipationsmöglichkeiten von keiner Umweltorganisation in Deutschland ausgenutzt wurde", sagt David Wagner von der BUND-Jugend, der das Projekt "Klimapiraten" koordiniert. Im Web-Engagement muss sich der Nutzer nur sehr lose binden, politisch aktiv sein geht per Mausklick in der Kaffeepause. Bei den Klimapiraten ist das anders: Die Gruppe will mit zwei Piratenschiffen zum Klimagipfel nach Kopenhagen segeln, vorher organisieren 80 Freiwillige Aktionen in ganz Deutschland - zusammen. "Wir arbeiten extrem partizipativ, aber dafür gibt es eine sehr hohe Bindung", sagt David Wagner.
Alle sind sich einig, dass es um Druck geht. Im Dezember soll auf der Weltklimakonferenz ein Nachfolgeabkommen des Kioto-Protokolls vereinbart werden, die Vorbereitungen laufen, "und momentan laufen sie in die völlig falsche Richtung", sagt David Wagner. Bei den zwei Hauptforderungen - Reduktion der CO2-Emissionen und Milliarden-Ausgleichszahlungen an die Länder des Südens - bewegt sich nichts. Gute Lobbyarbeit von Umweltverbänden, die wissenschaftlich zu Details beraten, gebe es schon genug. Jetzt müsse breite Öffentlichkeit her. "Das Thema ist sehr anspruchsvoll, weil es abstrakt ist und in der Zukunft liegt", sagt Wagner.
Die Klimapiraten versuchen es, Avaaz hat es bereits im Wahlkampf versucht: Agenda-Setting. Ein Thema auf die Tagesordnung bringen. Wenn das geschafft ist, kommt Campact. Campact gab es vor Avaaz, auch die deutsche Plattform ist von MoveOn.org inspiriert. Das Personal ist etwas linker - aus dem Umfeld von Attac und Bewegungsstiftung, die Transparenzbemühungen etwas ausgeprägter. Auch sie arbeiten mit Onlinepetitionen und kurzfristig organisierten Events, aber in einem anderen Moment. "Wir suchen den Punkt, an dem ein Thema skandalisierungsfähig ist, an dem eine Entscheidung ansteht", sagt Vorsitzender Christoph Bautz. "Dann machen wir unsere Petition in den Forderungen sehr konkret." Beim Klimaschutz werde dieser Moment jetzt im Herbst kommen. Hoffentlich.
Die Klimapiraten ackern genau dafür, treffen sich wöchentlich, David Wagner verlässt sein Büro manchmal erst um halb zehn abends. In ein paar Wochen wird der Adrenalinspiegel steigen. Ihre Triebfeder ist nicht Pragmatismus, sondern Wut. Wut darüber, dass die Politiker von 2009 in die Geschichte eingehen werden als die Verursacher der Klimamisere. Gesucht wird für diese Wut jetzt die professionelle Verpackung.
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