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Klezmer made in Switzerland

■ Mit viel Chuzpe auf den Punkt gebracht: „Kol Simcha“spielten beim DACAPO-Konzert jüdische Weisen mit Kuhglocken

Wußten Sie, daß eines der in Lateinamerika am meisten gefeierten Salsa-Orchester aus Japan kommt? Da kann es kaum noch wundern, wenn die auch in Israel enthusiastisch bejubelte Klezmerband „Kol Simcha“in Basel beheimatet ist. Die fünf Schweizer Musiker wiesen bei ihrem Bremen-Auftritt am Sabbat auch gleich selbstironisch auf die Absurdität ihrer Situation hin. Neben der Klarinette ließen sie in einem Stück auch die Kuhglocken erklingen und beschworen so eine „jüdische Hochzeit in den Schweizer Alpen“herauf. Wie ernst es den Musikern mit der Pflege der jüdischen Kultur im Grunde dann doch ist, konnte man daran ersehen, daß ein Stamm-Mitglied der Gruppe fehlte: Klarinettist Daniel Fricker ist vor kurzem zum Judentum konvertiert und darf nun am Sabbat nicht mehr musizieren. So hat sich die Gruppe extra für alle Konzerte, die an Freitagen stattfinden, einen Ersatzspieler gesucht.

Seltsamerweise war es nun gerade dieser Vertretungs-Klarinettist Claudio Dinti, der am meisten im Vordergrund stand. Denn die Klarinette ist das Hauptinstrument des traditionellen Klezmerstils. Ihre Koloraturen, ihr Schluchzen und Jauchzen sind der typische Sound für diese ostjüdische Instrumentalmusik. So spielte Dinti lange Soli, ein Duo mit dem Pianisten Olivier Truan, in dem mindestens so viel afroamerikanischer Soul wie jüdische Melancholie war, und arbeitete dramaturgisch sehr geschickt mit Verzögerungen und dynamischen Spannungen.

Der Bandleader und Komponist der meisten Stücke des Programms, Niki Reiser, hielt sich mit seinem Spiel auf verschiedenen Flöten dagegen sehr im Hintergrund, und wenn die fünfköpfige Band die Songs in Improvisationen ausufern ließ, bekamen auch die anderen Mitspieler Raum für ihre Soli. Diese Wechsel in ganz typische Spielarten des modern Jazz sind das Markenzeichen von „Kol Simcha“, und durch sie wurde das Konzert auch viel spannender als erwartet. Denn man konnte nur selten vorhersagen, in welche Richtung sich eine Komposition entwickeln würde. Das traditionelle Drumsolo beim letzten Stück vor den Zugaben durfte natürlich nicht fehlen. Aber wenn bei der musikalischen Evokation eines jüdischen Brauches der Baß in einem Solo die Stimme des Rabbis imitieren sollte, dann wurde hierbei die mit viel Chuzpe gespielte Mischung von „Kol Simcha“aus jüdischer Tradition und modernem Stilgemisch sehr schön und witzig auf den Punkt gebracht. Wilfried Hippen

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