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Archiv-Artikel

Klemmis in Kiel

Käuflicher Sex ist ein Tabuthema, noch immer. Einzelne Sozialpädagoginnen und Polizistinnen leisten in Kiel aufsuchende Arbeit. Ob es die Stelle einer betreuende Ärztin auch im nächsten Jahr geben wird, ist allerdings unklar

VON KRISTIANA LUDWIG

Es ist stickig und laut im „Harem“, ein warmer Dunst von Schweiß und Rauch liegt über den Fluren des Laufhauses. Aus den geöffneten Zimmern der Frauen quäken Fernseher, ein paar Männer drängeln sich durch und mustern diejenigen, die auf ihren Hockern sitzen und warten. Der Arbeitsplatz von rund 150 Sexarbeiterinnen ist nur ein kleiner Ausschnitt des Prostitutionsgewerbes in Kiel. Neben vier größeren Bordellen bieten junge und ältere Frauen in unzähligen Privatwohnungen ihre Dienste an. Überall herrscht hohe Fluktuation.

Das Geld bleibt knapp

Es ist schwer, den Überblick zu behalten zwischen Selbständigen und Opfern von Frauenhandel, Aufgeklärten und Mädchen ohne Zugang zum Gesundheitswesen und denjenigen, die kaum ein Wort Deutsch oder Englisch verstehen. Es mangelt an vielem im Berufsfeld der Dunkelziffern, doch das Geld bleibt knapp.

Käuflicher Sex ist ein Tabuthema, noch immer. Abseits vom Licht der Öffentlichkeit leisten einzelne Sozialpädagoginnen und Polizisten in Kiel aufsuchende Arbeit. Die Vorsteher der Hafenstadt wirken ebenfalls nicht sehr vertraut mit diesem Bereich. Erst auf taz-Anfrage wurde laut Pressesprecher Arne Gloy „eine Diskussion im Hause angestoßen“ (siehe Kasten).

Prostituierte sind häufig Migrantinnen und schlecht informiert über ihre Rechte und die gesundheitlichen Gefahren des Berufes. Regelmäßige Besuche sind allerdings hauptsächlich in den Bordellen der Stadt möglich. Modellwohnungen, so der Begriff für private Arbeitsräume, die an die Frauen weitervermietet werden, bleiben meist vernachlässigt. Zu unübersichtlich, zu zahlreich sind die Einrichtungen, als dass die vier Mitarbeiterinnen der „Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit“, die neben der „Ermittlungsgruppe Milieu“ der Polizei in die Häuser gehen, alle fassen könnten. „Wir arbeiten hier in einem Bereich, der nicht erwünscht ist“, erklärt eine von ihnen. „Keiner setzt sich dafür ein.“

Das Team der Sozialarbeiterinnen des Amtes für Gesundheit ist klein. Zu dritt, unterstützt von einer Ärztin, arbeiten die Frauen gegen Infektionskrankheiten, ungewollte Schwangerschaften und manchmal auch gegen unaufgeklärte Freier und dominante Bordellbesitzer. Die Impfungen und die ärztliche Versorgung vor Ort in den teilweise unhygienischen Häusern, im „Dschungelkrankenhaus“, sind meist die einzige Möglichkeit, die Frauen zu schützen. Eine Präventions- und Aufklärungsarbeit müsse aber auch verstärkt bei den Freiern ansetzen, sagt Gesine Grömm, eine der Sozialpädagoginnen. Gerade die seien häufig schlecht informiert, besonders Akademiker und besser Verdienende wollten oft Sex ohne Verhütung.

Und dieses Verhalten kann weitreichende Folgen haben. In Zeiten, in denen sich HIV, Hepatitis und sogar Syphilis wieder verstärkt ausbreiten, ist die Gefahr hoch, dass Männer nach Bordellbesuchen auch ihre Partnerinnen anstecken. Einzigen Schutz gegen diese Infektionsgefahr bieten kostenlose und anonyme Impfungen für die Frauen.

14 Tage nach der Kieler Woche steigt die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche erfahrungsgemäß sprungartig an, drei Monate später die Anfragen für HIV-Tests. Ein Indiz für viel ungeschützten Verkehr, meint auch eine Expertin von der „Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit“. Doch die Prävention wird stetig weniger, der letzte Versuch von Sozialarbeiterinnen Aufklärungsarbeit auf dem Straßenfest zu leisten, wurde von der Stadt abgelehnt (siehe Kasten). „Bei gewissen Besuchern“ käme ein solches Auftreten nicht gut an, erklärt Pressesprecher Gloy, besonders Angetrunkene könnten darauf negativ reagieren.

Frauen unter Druck gesetzt

Gerade diese Betrunkenen strömen zur Kieler Woche in die Bordelle, sagt Silke Dörner, Leiterin der „Ermittlungsgruppe Milieu“ der Kriminalpolizei. Sie seien der Grund, warum in den letzten Jahren einige Frauen fluchtartig die Stadt verlassen hätten. Einem Teil der Migrantinnen steht diese Wahl aber nicht frei. Laut Claudia Franke, einer der beiden hauptamtlichen Mitarbeiterinnen von „contra“, der Fachstelle gegen Frauenhandel in Schleswig-Holstein, sind die Betroffenen in einer „sehr abhängigen, sehr erpressbaren Situation“. Unter Druck gesetzt durch Drohungen gegen die Familie und willkürlich festgelegte Schulden, sind sie häufig gezwungen, in Bordellen große Summen zu erarbeiten. Eine schwierige Aufgabe, wenn allein die Tagesmiete für ein Zimmer im Bordell rund 120 Euro kostet, so Dörner. Prostituierte müssen mindestens fünf Kunden am Tag haben, um überhaupt einen Gewinn zu erzielen.

Mit „viel Angst“ versucht eine Dame im „Harem“ in gebrochenem Deutsch die Situation ihrer Kolleginnen zu erklären. Sie versorgt ihre zwei Kinder in einer anderen Stadt – ohne dass sie von ihrer Arbeit wissen. 90 Prozent der jungen Frauen hätten einen „dünnen Charakter“, glaubt sie, sie würden geschlagen und hätten dennoch nicht den Mut, der Kripo zu erzählen, dass ihnen der halbe oder der gesamte Gewinn von ihrem „Freund“ abgenommen wird. Das ist „wie ein Karussell“, sagt sie und tippt sich immer wieder an die Stirn. „Ich hab’ so viel gesehen, was soll ich machen, ich kann nicht helfen.“

Helfen könnten Stellen wie „contra“, die über ihr Beratungsangebot und durch Ärzte, Nachbarn, Angehörige, Lehrer und auch Freier Kontakt zu den Frauen bekommen. Die Polizei sei früher über die Kontrolle von Aufenthaltsgenehmigungen auf Opfer von Menschenhandel aufmerksam geworden, erzählt Milieuermittlerin Dörner, doch das sei seit der EU-Osterweiterung „dramatisch zurückgegangen“. Die Frauen sind nun legal hier, „die Chance, dass eine Frau erfährt, dass sie Unterstützung kriegen kann, ist sehr gering“, sagt Franke. Und den zwei Mitarbeiterinnen der einzigen Fachstelle in Schleswig-Holstein, die zudem jeweils nur eine Dreiviertel-Stelle besetzen, fehlt es an ausreichender finanzieller Unterstützung. „Es wird immer nur von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr klar, ob wir weiterarbeiten können“, sagt Franke. „Dieses Thema ist nicht sichtbar und somit besteht politisch zu wenig Handlungsdruck.“

In einer Modellwohnung mitten in einem Wohngebiet scheinen diese Probleme ebenfalls in weiter Ferne zu liegen. Hinter goldenen Klingelschildern betritt man einen geräumigen Flur, Dielenboden, Kerzen und stilvolle Möbel schaffen ein gehobenes Ambiente, in den Zimmern stehen breite Himmelbetten.

Viel Konkurrenz

In der großen Küche erzählt eine der Frauen bei Kaffee und Zigarette von ihrem Weg in den Beruf: „Man wird damit geboren, mit dieser Bereitschaft“, meint sie, „man muss offen sein und gern mit Menschen zu tun haben.“ Sie selbst habe durch Literatur und persönliches Interesse zur Prostitution gefunden. Doch die Konkurrenz sei hoch, sagt die deutsche Frau. In jedem Stadtteil seien unzählige Modellwohnungen zu finden, einige davon stark verdreckt. Eine Milieuexpertin spricht von unfreiwilliger Hinterzimmerprostitution, besonders im Migrantenstadtteil Gaarden. Gerade im Sommer sei die Kundschaft in der Wohnung rar, so die Sexarbeiterin, während der Kieler Woche seien die Männer im „Eros“ und ihre 12-Stunden-Tage bestünden zu großen Teilen aus Warten. „Zwang gibt es gar nicht so“, sagt die Frau. „Das wollen die Leute in der Zeitung lesen.“ „Wie blöd muss man als Gast sein, wenn man das nicht merkt, dass eine dazu gezwungen wird? Wie soll das gehen?“

Die „Chefin“, die Mieterin der Wohnung, wirkt selbstbewusst und professionell. Sie ist seit 20 Jahren in dem Gewerbe und weiß um ihre Ansprüche: „Intelligenz hat nichts mit Bildung zu tun, aber ich hätte gerne mal eine Studentin gehabt. Oft ist es so, wenn sie Abitur haben, haben sie mehr Einfühlungsvermögen für die Gäste, die wollen ja auch reden. Nicht nur Sex.“

Zum Thema Verhütung gibt es in der Modellwohnung klare Vereinbarungen. „Solche Gäste haben hier nichts zu suchen.“, sagt die junge Deutsche in Bezug auf ungeschützten Verkehr. „Der Beruf klärt einen erst auf“, erzählt sie, das Amt für Gesundheit und die freundlichen Beraterinnen gefielen ihr sehr gut.

Zu den freundlichen Beraterinnen gehört auch die Ärztin im Team. Sollte ihre Stelle gestrichen werden, hätte dies Konsequenzen für das gesamte Milieu.