Kleist am Gorki Theater: Noch einmal mit Gefühl
Jan Bosse inszeniert Kleist, den Big Player der Geschlechterzerfleischereien, und macht ihn goutierbar: ein tragikomischer "Amphitryon" am Berliner Gorki-Theater.
Wer wegen der Gefühle ins Theater geht, tut gut daran, einmal bei Jan Bosse vorbeizuschauen. Dieser Theaterregisseur kann sehr viel. Er kann Schauspieler dazu bringen, mit einem kleinen Zusammenkneifen der Augen eine Verwirrung darüber auszudrücken, dass es jetzt hier beim Gespräch mit der Geliebten ganz anders als erwartet läuft. Er kann Frauenfiguren auf die Bühne stellen, denen ihre eigenen Gefühle undurchsichtig geworden sind. Und er kann das in einem Rahmen machen, der trotz der Exaltiertheit aller Beteiligten und trotz der klar ausgestellten Theatersituation ziemlich unkünstlich wirkt.
Setzt euch mal da hin, wir spielen euch jetzt mal was vor, scheint so ein Bosse-Abend den Zuschauern einzuflüstern. Ein bisschen hat das was von "We love to entertain you". Den Status des Radical Chic in der postdramatischen Fraktion kann man so nicht erwerben. Tatsächlich fallen in Bezug auf Jan Bosse, wenn man sich unter avancierten Theatergehern umhört, immer auch die Wörter "nett" und "harmlos". Auf der anderen Seite kann sich dieser Regisseur aber auch nicht auf die Literaturtheaterfraktion verlassen; der sind seine Textkürzungen doch nicht geheuer.
Insofern lässt sich ein Jan-Bosse-Abend stets als Eiertanz in eigener Sache beschreiben. Oder positiv: als Gratwanderung. Da er keinem Theaterkonzept verpflichtet ist und dramaturgisch mit leichtem Gepäck unterwegs, muss er die Zuschauer immer aufs Neue kriegen. Ist ja nicht leicht, immer die intelligenten Einfälle und unklamaukigen Späße zu produzieren, die bei Bosse den netten Rahmen garantieren. Kalkuliert sollen sie schließlich auch nicht wirken.
Beim "Werther" hat das in der vergangenen Spielzeit geklappt. Goethes Bestseller hat Jan Bosse in einer überzeugenden Texteinrichtung auf die enge Vorderbühne des Berliner Maxim Gorki Theaters gestellt. Man sah Figuren, bei denen man über weite Strecken in schöner Irritiertheit nicht wusste, ob sie nun diesem über 200 Jahre alten Text entsprungen sind oder einer Dreierkonstellation von heute. Werthers Verliebtheit in die Liebe traf auf einen abgeklärten Albert, der plötzlich aber nicht als tumber Betrogener, sondern als gleichberechtigter Widerpart dastand. Und Lotte war viel zu sehr mit sich selbst und ihren verwirrten Gefühlen beschäftigt, um etwas zur Lösung des emotionalen Knäuels beitragen zu können.
Die Frage, ob Postdramatik oder Literaturtheater, stellte sich in dieser Inszenierung gar nicht. Und Jan Bosse hatte es hingekriegt, dass man zur Beschreibung des Abends die Wörter "leicht" und "tief" kombinieren musste. Ein leichter Theaterabend über tiefe Gefühle. Oder: ein Abend, bei dem das Leichte ins Tiefe kippt und zurück.
Nun hat Jan Bosse, wiederum am Maxim Gorki Theater, "Amphitryon" inszeniert, in 90 Minuten, als Kammerstück. Kleist! Den klassischen Big Player der Gefühlsabgründe und Geschlechterzerfleischereien. Was Jan Bosse kann, lässt sich auch hier genießen und bewundern. Er kann den Schauspieler Hans Löw (der schon die Titelrolle des "Werther" beseelte) in dieser schwierigen Doppelrolle als betrogener Ehemann Amphitryon und betrügender Gott Jupiter wunderbar führen - nur dass der Gegensatz zwischen ihnen etwas zu eindeutig erscheint; Amphitryon als um Gefühlskontrolle bemühter Gatte, Jupiter als strahlender Lover. Jan Bosse kann Anja Schneider als Alkmene in ihrer Gefühlsnot beglaubigen - nur dass das Irrlichternde dieser Kleistfigur etwas zu sehr heruntergedimmt erscheint.
Es gibt ein wunderbar schlichtes Bühnenbild - nur etwas zu eindeutig zwischen löchriger Vorderbühne und, wenn Hans Löw als Jupiter auftritt, mit vielen Glühbirnen erleuchtete himmlische Hinterbühne. Es gibt großartige Wortgefechte zwischen allen Beteiligten - die nur ein klein wenig zu eindeutig an aktuelle Beziehungsgespräche erinnern. Und es gibt in der Sosias-Merkur-Handlung auf der Dienerebene ein austariertes Gegengewicht zur Hauptgeschichte und dabei auch interessantes Spielmaterial für Deutungsansätze - nur dass die Idee, Sosias mit schwarzer Farbe anzumalen und Merkur mit einem dunkelhäutigen Schauspieler zu besetzen, etwas zu schwere Zeichen generiert; kulturwissenschaftlich versierte Zuschauer können hier gar ihr Blackness-Wissen hineinprojizieren.
Die Summe dieser kleinen Eindeutigkeiten ergibt das Manko dieser Inszenierung. Jan Bosse hat Kleist einleuchtend spiel- und goutierbar gemacht. Aber man möchte den andererseits wiederum ziemlich literaturromantischen Satz hinschreiben, dass er sich gar nicht erst die Chance gegeben hat, an diesem Autor zu scheitern. Er hat sich Kleist für seine Zwecke zurechtgestutzt: als Beziehungstragikomödie. Was zu kurz kommt, ist das Hineingehen in den genialen Kleistschen Wahnsinn, auch die Götter als liebesbedürftig darzustellen. Und dass es bei Kleistschen Gefühlen um einen Kampf um Leben und Tod geht, kann man auch nicht immer sehen.
Vielleicht ist es auch schlicht so, dass dies immer noch ein I-a-Gesellenstück ist, man nach dem "Werther" von Jan Bosse, Jahrgang 1969, mittlerweile aber ein Meisterstück erwartet. Ach.