piwik no script img

Archiv-Artikel

Kleine Zeltstadt auf Wanderschaft

Sehen, was man nicht verstehen kann: „Return to Sender – Letters from Tentland“ im Radialsystem ist ein Stück über Migration und Missverständnisse. Die Berliner Regisseurin Helena Waldmann erweckt Zelte zum Leben und lässt sie ins Stolpern geraten

VON ASTRID HACKEL

Ein schwarzes Zelt steht auf der Bühne. Langsam öffnet sich der Reißverschluss und ein zweites Zelt kommt zusammengefaltet zum Vorschein. Es bewegt und entfaltet sich, wird größer, stolpert nach vorn. Ein drittes rückt nach, schließlich bevölkern sechs wie zum Leben erwachte bunte Zelte die Bühne. Eine junge Frauenstimme ruft heraus: „I need support!“, aus einem anderen fragt jemand zurück: „Wo kommst du her? Wer bist du? Wo ist dein Zuhause?“ und „Gehst du wieder zurück?“ Fragen, die einer jungen Exilantin oft gestellt werden.

Sanam und ihre Mitschauspielerinnen leben als Exil-Iranerinnen in Berlin. Das Stück „Letters from Tentland – Return to Sender“ möchte aus diesem Leben erzählen, von den Ängsten und Vorurteilen, verklärenden Erinnerungen und der allgemeinen Erfahrung des Fremdseins.

„Letters from Tentland“ – dieser Titel ist nicht neu; durchgestrichen und um „Return to Sender“ erweitert ist er eine Antwort auf das Stück, das die Berliner Regisseurin Helena Waldmann vor wenigen Jahren mit iranischen Frauen in Teheran auf die Bühne gebracht hat. „Letters from Tentland“ spielte durch das Abtauchen der Darstellerinnen in den Zelten auf die Komplett-Verschleierung der Frauen im Iran an und zeigte, wie sich darunter Lebensfreude und Normalität anfühlen. Wenn man diese Botschaft noch im Hinterkopf hat, irritiert „Return to Sender“ umso mehr. Waldmanns Handschrift ist unverkennbar die gleiche geblieben. Wieder dreht sich alles um Zelte. Bedeutung und Metaphorik sind jedoch in beiden Stücken völlig verschieden.

Die in „Letters from Tentland“ ausgestellte Verwandtschaft von Zelt und Tschador, Regie und Regime war allzu offensichtlich: Helena Waldmann wurde deshalb von der Kritik vorgeworfen, plakativ und klischeehaft zu sein. Solche Äußerungen ärgerten sie. „Wenn jemand erfährt, dass das Wort Zelt und Tschador im Iran bedeutungsgleich sind, verengt sich die Sicht: Keiner von diesen ganzen Leuten konnte und wollte je sehen, dass ein Zelt auch einfach ein Zelt ist.“

Dennoch: Als man die iranischen Frauen in den unförmigen Kostümen sah, war die Assoziation des Tschadors zwangsläufig da. Dass es darüber hinaus noch etwas anderes geben kann, zeigt sich in „Return to Sender“. Wenn man die jungen Darstellerinnen, die alle in Berlin leben, fragt, was das Zelt für sie bedeutet, sprudelt es nur so aus ihnen hervor: Schutz, Flügel, Krücke, Hindernis, Refugium – an den Tschador denkt keine von ihnen. Manche waren sehr jung, als sie den Iran verließen, eine von ihnen wurde in Deutschland geboren; manche wissen nicht viel über die politischen Verhältnisse dort.

Genaueres über sie und ihre Sicht auf den Iran erfährt man im zweiten Teil der Performance, wenn die männlichen Zuschauer zu einem Gespräch bei einem Glas Tee hinter die Bühne gebeten werden. Hier bemühen sich die jungen Frauen darum, die positiven Seiten des Irans herauszustellen; der Grundtenor ist, dass man im Westen ein zu negatives Bild vom Leben unter dem Regime Ahmadinedschad hat, dass im Iran eigentlich alles möglich ist, was es auch hier gibt, nur dass es sich im Verborgenen, hinter den Mauern und Vorhängen, also in den „Zelten“ der Menschen abspielt. Wer dennoch nach Ahmadinedschad fragt oder das Stichwort „Atomprogramm“ fallen lässt, wird ein bisschen belächelt wie jemand, der die Realität mit ihrer medialen Reproduktion verwechselt.

Die Darstellerinnen des ersten Stücks, das im Iran produziert wurde, dann aber von großem Medienecho begleitet vor allem über europäische Bühnen tourte, redeten ungern über Politik, sie sprachen lieber über sich selbst. Bei ihren hier lebenden Kolleginnen ist es nicht anders. Der Iran ist von ihrem Lebensmittelpunkt zu weit entfernt, die Probleme, die sich aus ihrer Exilsituation ergeben, sind viel dringender. Hinzu kommt, dass sie Angst haben, ein Aspekt, der bei aller Offenheit in der Diskussion mit dem Publikum nicht zur Sprache kommt. Das begründet Helena Waldmann so: „Natürlich denkt man, hier ist doch keiner, der die Mädchen in den Knast stecken, der ihnen ein Berufsverbot erteilen kann – mit der Ansicht setzt man sich aber in die Nesseln, weil sie alle noch Verwandte im Iran haben.“

„Return to Sender“ wurde vom Festival Montpellier Danse, dem Hauptstadtkulturfonds und anderen produziert und bisher in Weimar und Ludwigshafen gezeigt. Im Radialsystem wird es an zwei Abenden gespielt. So wird das Zelt als Zeichen mit immer mehr Deutungen überschrieben: Für die Migrantinnen, die in ihm spielen, ist es ein Gefäß, von Fremdheit, Unbehaustsein, Flucht und Unsicherheit zu erzählen. Nicht zuletzt aber sind die Zelte auch Bild eines Kunstprojekts, das nirgendwo richtig zu Hause ist und seinen Adressaten eigentlich nie erreichen kann.

14. 10., um 21 Uhr, 15. 10. um 15.30 und um 20 Uhr, im Radialsystem, Holzmarktstr. 33, www.radialsystem.de