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Klassentreffen

Zur ersten Biographie von Michel Foucault  ■ Von Katharina Rutschky

In diesen Kreisen kennt man sich — wenn man nicht gleich auch noch irgendwie miteinander verwandt ist. Jean Piel etwa leitet die Zeitschrift 'Critique‘, die Georges Bataille gegründet hat, nach dem Tod des Schwagers weiter. Den Autor von Wahnsinn und Gesellschaft bittet er um Beiträge, schließlich um Mitarbeit im Redaktionskomitee, dem unter anderen auch Roland Barthes angehören soll. Piel kennt aber nicht bloß Foucault, den vielversprechenden jungen Philosophen, er kennt die ganze Familie aus Poitiers und von Foucault senior, dem Arzt und Medizinprofessor, ist er gar höchstpersönlich schon operiert worden!

Woher kennt man sich in diesen Kreisen? Aus der Schule, spätestens aus der khÛgne, der Klasse, die einen für die Aufnahme in die ENS präpariert, damit man dort als normalien den Grundstein zur Karriere, zum Ruhm und zum Aufstieg in die höchsten Ämter legt, welche in Frankreich zu vergeben sind. Spätestens, allerspätestens, kennt man sich also aus der Rue d'Ulm, wo diese höhere Normalschule, dieser Durchlauferhitzer der französischen Geistesaristokratie in Paris angesiedelt ist. Formell ist die ENS zwar bloß eine Ausbildungsanstalt für den höheren Schuldienst, faktisch aber vermehrt jeder, der es bis dahin geschafft hat, sein soziokulturelles Kapital so ungeheuer, daß sein Erfolg im Leben fast garantiert ist.

Auch Pierre Bourdieu, der so gnadenlos die Mythen vom Aufstieg durch Bildung und Leistung destruiert hat, war in der Rue d'Ulm normalien, allerdings zu Zeiten, als Foucault dort schon Psychologie unterrichtete. Foucaults Biographie ist eine Fallgeschichte, wunderbar geeignet, dem Soziologen des Homo academicus als Beleg für seine düsteren Thesen zu dienen, auch wenn es bestimmt nicht die Absicht von Didier Eribon war, seinen Helden als einen Pariser Mandarin vorzuführen — der er natürlich war, und der er auch immer hatte werden wollen.

Aber auch wenn die Wege gebahnt und Geld für ein Kind aus der provinziellen Großbourgeoisie kein Thema ist, das reine Zuckerschlecken war der akademische Aufstieg, der Foucault schließlich ins Collège de France führte, ganz sicher nicht. Foucaults Mutter hat ein paar Fotos zur Verfügung gestellt, aber sonst ist es Didier Eribon nicht gelungen, uns das Kind und den jungen Mann aus Zeugnissen erster Hand zu rekonstruieren, wie auch später die Person Foucault unsichtbar bleibt, ungeachtet der verführerischen Aufschlüsse in manchen Interviews, die denn doch bloß jene offizielle Intimität zelebrieren, auf die das Publikum nun einmal ein Anrecht hat. Anders gesagt, Eribon hat eigentlich keine Biographie geschrieben, sondern eine faktenreiche Kompilation nach Art der „Life & Letters“, die sich ja auch mit einer Oberflächenpräsentation ihres Gegenstands begnügen: Woher kommt er? Was hat er gelernt? Was hat er getan? Dennoch schimmert genug durch die Ritzen der harmlosen Hagiographie, das Neugier und Interesse stachelt.

Vermutlich war Foucault, bis der Erfolg ihn einigermaßen beruhigte und besserte, ein rechter Kotzbrocken, eine Zumutung für seine Umgebung, seine Kollegen, Studenten, Mitschüler, kurzum für alle, die ihm seine angeborene Prinzenrolle streitig machen konnten oder sonst als Konkurrenten im schulisch-akademischen Wettlauf in Frage kamen. Als Genie hat er nie jemandem imponiert; eher als immens Fleißiger, Arbeitsamer — sagen wir ruhig: Streber. Bis er selbst dazu imstande war, beaufsichtigte die Mutter den korrekten Ablauf der Karriere. Am Ort ihres Landsitzes ist er auch begraben, mit einer religiösen Zeremonie, auf der Madame Foucault bestanden hat, wie Eribon eigens betont.

Der Vater taucht ganz am Rande als Feind auf, der ihn zum Mediziner, also Nachfolger machen will und ihm außerdem einen Namen vererbt, Paul, den er sobald wie möglich ablegt, um nur noch den zu führen, den die Mutter ihm gegeben hat. Vermutlich verdankt er dem Vater aber das Thema und die kritische Zielrichtung seiner ersten Bücher über den Wahnsinn und die ärztliche Klinik. Abgesehen davon, daß er eitel, arrogant, eingebildet und unfähig war, Kritik zu tolerieren, war er wohl auch ein bißchen verrückt in jungen Jahren. Eine ganze Serie mehr oder weniger ernsthafter Selbstmordversuche — besser: Selbstverletzungen — kann man schwerlich mit der Einsicht in die eigene Homosexualität allein erklären.

Falls Ehrgeiz eine Krankheit ist, dann hat Foucault gewiß an ihr gelitten. Zwar hatte er prima Startchancen, aber was nützen die, wenn andere sie auch haben und man selbst unter dem absoluten Zwang steht, die Nummer eins zu werden? Beim ersten Anlauf für die agrégation fällt Foucault 1950 durch, wie übrigens auch zwei andere Michels, Butor und Tournier. Ein Jahr später schafft er es endlich — aber nur als Dritter, worüber er wieder furchtbar wütend ist. Auch in anderen akademischen Milieus ist der Weg nach oben hart und mit Deformationen des Charakters und des Kopfes erkauft; was die Pariser Szene dem Neuling zumutet, ist aber mehr chronische Folter als bloße Ochsentour.

Das fängt schon damit an, daß alle in Paris sind, die überhaupt etwas sind. Man kann Frankreich für Jahre verlassen, um wie Foucault in Uppsala, Warschau, Hamburg und Tunis zu lehren, aber Paris verläßt man keinesfalls, um in der Provinz zu versacken... Was einem am französischen akademischen Stil gerade der Spitzenprodukte so, pardon, überkandidelt vorkommt, hat seinen Grund in dieser drangvollen Enge, wo man sich nicht nur anpassen, sondern gleichzeitig unterscheiden muß, um bemerkt zu werden. Mit Befriedigung habe ich bei Eribon gelesen, daß Georges Canguilhem als Gutachter an der verblasenen Rhetorik von Wahnsinn und Gesellschaft ebenso Anstoß genommen hat, wie ich Jahre später, als die deutsche Übersetzung erschien und ich meine erste Bekanntschaft mit Foucault zu machen versuchte. Und was noch besser ist: Der Autor selbst sah später einen Fehler ein, den er in seiner thèse partout nicht wahrhaben wollte. Ich favorisiere als Philosophen und Schriftsteller ganz entschieden den, wie man leider nun sagen muß, „späten“ Foucault der 70er und 80er Jahre, dem seine Dämonen jetzt, wo er von Ruhm und Erfolg gepanzert war, nicht mehr so viel anhaben konnten wie früher.

Wie es Wunderkinder und Jugendgenies gibt, deren Glanz bald verblaßt, gibt es Autoren, die alt werden müssen, damit ihr Talent wirklich sichtbar wird. Trotz des bei Eribon hinreichend dokumentierten Dauerfleißes, gescheiter Karriereplanung, der richtigen Freunde und Beziehungen von Kindesbeinen an, scheint mir Foucault zur zweiten Spezies zu gehören. Was hätte er nach der dann vollendeten Geschichte der Sexualität unternommen, um die dort angelegte Spur von Weisheit und Lebenskunst fortzusetzen? Er spielte mit dem Gedanken, in den Journalismus zu gehen und hatte mit einer Serie von Reportagen über den Iran im Umbruch für eine italienische Zeitung schon einen Anfang gemacht. Daraus spricht auch Neugier und Weltvertrauen, die dem jungen Foucault, dem notorischen Insassen von Bibliotheken und Archiven, fremd gewesen waren. Einladungen in die USA machten ihm das Leben dort so sympathisch, daß er mit dem Gedanken an eine Übersiedlung spielte. Den Rückhalt in der Gay Community und die Normalität, welche die Homosexualität dort bekommt, hat er in Paris vermißt.

Wie jeder Mandarin, entzieht sich auch Foucault der einfachen sachlich-fachlichen Beurteilung. Nicht entfernt geht die Anziehungskraft dieser Person in der Erfolgsbuchhaltung und dem Name-dropping auf, die uns die Fleißarbeit von Eribon als Biographie offeriert.

Didier Eribon: Michel Foucault. Eine Biographie. Frankfurt/Main 1991, Suhrkamp. 517 Seiten, geb., DM38,-.

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