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Klagen überfluten JobcenterHartz IV macht reich

Anwälte können mehrere hunderttausend Euro mit einem Auftrag des Jobcenters Friedrichshain-Kreuzberg verdienen. Gesucht werden Juristen, die das Amt gegen Klagen von Hartz-IV-Empfängern verteidigen

Haben viel Arbeit mit Hartz IV: die Jobcenter Bild: ap

Das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg will auf externe Hilfe zurückgreifen, um die Flut der Klagen gegen das Amt abzuarbeiten. Als erstes der zwölf Jobcenter in Berlin sucht es mit einer europaweiten Ausschreibung (PDF) nach Anwälten, die das Amt vor dem Sozialgericht vertreten. Der gesamte Auftragswert soll in einer "Spanne von 350.000 bis 560.000 Euro" liegen, heißt es in der Ausschreibung.

Konkret geht es um 500 bis 800 Klagen, die zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe im kommenden Monat noch nicht abgeschlossen sind. Darunter sind auch Gerichtsverfahren, die sich bereits länger als fünf Jahre hinziehen. Sie konnten bisher "aufgrund der Komplexität des Sachverhaltes und der Rechtslage noch nicht zum Abschluss gebracht werden", erläutert Andreas Ebeling, Sprecher der Berliner Arbeitsagenturen, gegenüber der taz.

Dadurch, dass externe Anwälte die Fälle nun übernehmen, sei einerseits "sichergestellt, dass die Bearbeitung durch eine rechtlich qualifizierte Person erfolgt", so Ebeling. Außerdem gebe es "aufgrund der bereits langen Dauer des Verfahrens festgefahrene subjektive Ansichten von Kläger und Beklagten", also von Hartz-IV-Empfänger und Jobcenter. Durch die "nunmehr hinzutretende rein neutrale Komponente des Beauftragten" könnten "neue Gesichtspunkte" in das Verfahren kommen. Das Jobcenter verspreche sich davon, dass die Verfahren schneller zu Ende kommen. Außerdem hofft das Amt auf "einen Erkenntnisgewinn", der bei ähnlichen Verfahren künftig auch bei der Bearbeitung von Widersprüchen und Klagen durch das Jobcenter angewandt werden kann, so Ebeling. Die Berliner Hartz-IV-Empfänger erhoben im Jahr 2009 rund 26.700 Klagen gegen die Hartz-IV-Bescheide der zwölf Jobcenter. In rund der Hälfte der Urteile des Sozialgerichts bekamen die Kläger zumindest zum Teil Recht.

Dem Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg ist wichtig, dass ihr Auftrag an Anwälte mit hoher Kompetenz geht - und dafür gibt man auch gerne etwas mehr Geld aus: Der Preis der Anwälte geht nur mit einer Gewichtung von 15 Prozent in die Entscheidung über den Zuschlag ein. Die juristische Fachkunde wird dagegen mit 55 Prozent bewertet, auch die Zuverlässigkeit und die Organisation der Zusammenarbeit wird berücksichtigt.

Die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Ülker Radziwill, kann den Vorgang nicht nachvollziehen. Insbesondere kritisiert sie die festgefahrenen subjektiven Ansichten des Amts in den Klageverfahren. "Das Jobcenter sollte eine neutrale Instanz sein, bei der die Rechte der Hartz-IV-Empfänger im Vordergrund stehen."

Das Problem sieht sie nicht bei den Sachbearbeitern - im Gegenteil: "Man muss die Mitarbeiter stärken, damit sie bessere Entscheidungen treffen können." Dazu müsse man zusätzliches Know-How in die Jobcenter hereinholen, anstatt die Fälle an externe Anwälte abzugeben. Oft fehle es den Mitarbeitern auch einfach nur an Zeit, um umfangreiche Unterlagen sorgfältig durcharbeiten zu können. "Da muss man die Arbeitsorganisation verändern", so Radziwill. Sie fragt sich daher, ob es wirklich sinnvoll sei, so viel Geld in externen Sachbestand zu investieren anstatt in das eigene Personal.

Die Anwälte der Stadt, die noch nicht ausgelastet sind, können sich jedenfalls über den Großauftrag freuen. Sie haben noch bis Donnerstag nächster Woche um 23.55 Uhr Zeit, ihre Angebote abzugeben. Danach entscheidet das Jobcenter, welche Kanzlei das Geld erhält.

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10 Kommentare

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  • LD
    le D

    "Hartz IV macht reich"

     

    Bei Verfahren an denen man im Schnitt 700 € (ich gehe mal von netto aus) verdient? Im Leben nicht. Ich bin selber Anwalt und die Darstellung im Beitrag ist extrem einseitig.

     

    Zuvorderst: Umsatz ist nicht gleich Gewinn. Es muß ein Büro unterhalten werden (Miete, Nebenkosten, Mitarbeiter). Es braucht Infrastruktur und die einschlägige Fachlektüre. Und wenn das Büro bezahlt ist, will man eine Privatwohnung haben und ab und zu auch mal den Kühlschrank füllen.

     

    Mindestschritte in einem Verfahren: Akte anlegen und Sachverhalt erfassen. Auf Deutsch: Akte komplett lesen. und das bei folgender Aussage: "aufgrund der Komplexität des Sachverhaltes und der Rechtslage noch nicht zum Abschluss gebracht werden".

     

    Üblicherweise sind Verfahren, die seit einiger Zeit schwelen ziemlich umfangreich. Das können in einem komplexen Verfahren durchaus mal 800 bis 1500 Seiten sein. Die müssen im Hinblick auf den relevanten Sachverhalt analysiert werden, also Lektüre von: Anträgen, bisheriger Schriftwechsel, frühere Bescheide (also uU auch andere Akten, die nicht unmittelbarer Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens sind).

     

    Dann kommt die Juristische Prüfung und Konzept-/Strategieentwicklung: Bescheid und die dagegen gerichtete Klage des Bürgers prüfen, taktische Optionen überlegen und mit dem Auftraggeber diskutieren und eine Entscheidung treffen. Klageerwiderung im Entwurf formulieren, mit dem Auftraggeber diskutieren und einreichen. Abschriften mit Erläuterung an Auftraggeber.

    Weiterer Schriftsatz-Pingpong (Replik, Duplik und ggf. noch weiter Folgende) mit dem Kläger und dem Gericht.

     

    Mündliche Verhandlung vor Gericht (inklusive An-/Abreise und Wartezeiten/Stau einkalkulieren). Anschließend Berichterstattung an Auftraggeber.

     

    Danach dann Kostenfestsetzung und Abrechnung.

     

    Das ist das Mindestpaket, das in einem Verfahren immer drin steckt. Drunter geht es nicht.

     

    Wenn man Kosten von 100 € die Stunde ansetzt (Miete, Nebenkosten, Personal und ganz viel Kleinkram, der sich läppert) und sehr progressiv lediglich 5 Stunden (bei komplexen Sachverhalten und schwieriger Rechtslage!) für die Bearbeitung einer Akte, dann verdient ein Anwalt an einem Verfahren 200 € netto. Das ist ein Stundenlohn von 40 € (nach Studium & Referendariat, d.h. Hochschulstudium und Praxisausbildung, die im Regelfall 6 bis 7 Jahre dauert). Hiervon werden dann mindestens noch Einkommensteuern und Versorgungswerk (die Rente der Anwälte) bezahlt.

     

    Ich will für die Kollegen sicherlich nicht klagen, aber "macht reich" sieht anders aus.

  • CR
    Carsten R. Hoenig

    Lieber Herr Heiser.

     

    Sie haben sich verrechnet. Das, was Sie in Ihrem Beitrag als an eine Anwälte verschenkte Linzenz zum Gelddrucken kritisieren, ist in der Regel ein Zuschußgeschäft für jeden qualifizierten Sozialrechtler. Hier habe ich mal nachgerechnet:

     

    http://www.kanzlei-hoenig.info/reiche-anwaelte-arme-journalisten

     

    Ich lade Sie dazu ein, sich mal eine Kanzlei von innen anzuschauen. So zur Recherche für Ihren nächsten Beitrag über den Reichtum der freien Advokaten ...

    ;-)

  • H
    Herfurth-Schmidt

    Das JobCenter meint wohl, dass es Anwälten nur ums Geld geht. Mir jedenfalls nicht. Ich wäre nicht bereit, die Seiten zu wechseln, weil sich dadurch die Schieflage noch weiter verschlimmern würde. Da vertrete ich lieber weiterhin meine Leutchen für Beratungshilfeschein, sprich ein Appel und ein Ei.

  • JP
    Joachim Petrick

    Ganz unverehens wird hier nun offenbar, was sonst längst Praxis in behörden, Ministerien war und ist, dass privatrechtliche Berater Trusts in Behörden, Ministerien, Steuergelder unlegitimiert verbrennend, parteinahe Stiftungen wie sich selber außer Kontrolle durch den Rechnungshof, Gefahrenlagen von anwachsender Korruption aussetzend, ein und aus marschieren, um Gesetzesvorlagen zu formulieren, die dann von den Parteien in den Landesparlamenten, vom Deutschen Bundestag im Eil- und Geschwindschrittverfahren durchgewunken werden.

     

    Das klingt wie eine Wollmichfleisch spendende Moneten der Proleten Sau, klingt wie ein monetäres Perpedemobile:

    "Erst werden die Gesetze so heillos im Namen privater Berater/inen Seite (s. Peter Hartz)verzapft, dass die anschwellende Wucht der Klagen von der gesellschaftlichen Basis nach weiteren regierungs- , behördenexternen Berater/innen fragend schreit, um jetzt auch noch die Deutungshoheit der Ausführungsbestimmungen dert verzapften Gesetze privater Seite statt politischer Seite kostentreibend zu überlassen usw. wieder vorn vorne.

     

    Dadurch sind diese privaten Berater/innen nicht nur allein für die Formulierung von Gesetzesvorlagen wie im Fall der Hartz IV Gesetze(s. Peter Hartz) zuständig, sondern auch noch für die Deutungshoheit der Ausführungsbestimmungen dieser Gesetze.

     

    Die Politik wäscht sich nach dem "Pontius Pilatus Prinzip die korrupt riechend schmutzige Wäsche in eilig scheinheiliger Unschuld

     

    So schließt sich unselig wie heillos der Kreis, die Scheunentore offensiver Korrutpion tun sich gähnend auf und niemand will es in der Parteienpoltik bemerkt haben.

  • K
    Kathrin

    Zeit fürs´ Grundeinkommen, dann hat die Klageflut & die Bürokratie ein Ende !

     

    Dazu möchte ich auch gern noch Prof. Götz Werner zitieren:

    "Hartz 4 ist offener Strafvollzug"

     

    Genauso habe ich es auch immer empfunden, wann hört der Schwachsinn mit Methode endlich auf!?

  • O
    Ottokar

    Von einer "rein neutralen Komponente" kann man bei einem Auftragswert von 350.000 bis 560.000 Euro wohl kaum sprechen.

    Bei so einem fetten Batzen dürfte jede Menge subjektiver Eigennutz dabei sein, möglichst Verfahren zu gewinnen, um bei der nächsten Ausschreibung wieder ganz vorn auf der Liste zu bstehen.

    Und natürlich sollte jedem klar sein, dass diese Gelder auch aus dem Hartz IV Topf bezahlt werden.

    Würden sich die Kommunen, insbesondere Berlin mit seiner bundesweiten Vorbildwirkung, endlich an die Rechtsprechung des BSG halten, wofür insbesondere Berlin immer wieder vom SG und LSG Schelte bekommt, wäre die Mehrzahl der Klagen gar nicht erforderlich.

  • H
    Hanno

    Offenbarungseid!

  • S
    Stefan

    "Das Jobcenter sollte eine neutrale Instanz sein, bei der die Rechte der Hartz-IV-Empfänger im Vordergrund stehen."

     

    ich lach mit tot - wobei: es wurde ja sinnigerweise schon mit Konjunktiv versehen...

  • SS
    Susi Sorglos

    Na Klasse !

    Statt Sachkunde bei überforderten Mitarbeitern einzuführen wird nun mit Winkeladvokaten der Mist, den die Arge dauern verzapft, gegen wehrlose H-IV-Empfänger eingesetzt. Rechtsbeugung durch Anwälte, die nur ihr eigener Cashflow interessiert und nicht die Korrektheit eine Gesetzesumsetzung.

    Das gegen die Wehrlosesten der Gesellschaft.

     

    Wie widerlich solch eine Gesellschaft doch werden kann, die sich demokratischer Sozialstaat nennt! Immerhin sind die Talare nicht aus Leder...der kleine Unterschied.

  • S
    Schneider

    Das Jobcenter will unbedingt die anhängigen Klagen gewinnen! Kosten für die Anwälte wurden in bisherigen Verfahren für Betroffene gedrückt, war für die Anwälte

    nicht wirtschaftlich.

    Jetzt die Anwälte auf die Gegenseite, die des Jobcenters zu ziehen, ist ein unmoralisches Angebot.

     

    Woher kommen die "freien" Gelder?

    Wurde das von Förderungsprogrammen für Kunden des Jobcenters abgezweigt oder kommt das von unrechtmäßigen Sanktionen gegen Kunden?